Wissen, Fortschritt und Nachhaltigkeit
Ich verhalte mich öfter so, als ob ein Wissen, das ich habe und benutze, schon immer existiert hätte. Da ist es nötig, mich ab und zu zu fragen, wie lange ich Besagtes schon weiss bzw wie lange es tatsächlich schon bekannt ist. Dabei werde ich wiederholt gewahr, wie unglaublich nützliche Fortschritte und Entwicklungen sich in so manchen Bereichen einstellen. Das gilt auch, wenn man bloss ein, zwei Jahrzehnte überschaut.
Zum Beispiel denke ich an Rolfing. Das ist ein Verfahren, das mit Hilfe von Bindegewebsmassage chronische Fehlhaltungen löst und ein korrektes „Alignment“ des Körpers ermöglichen soll. Es ist 30 Jahre her, seit ich die ersten Rolfingsitzungen „über mich ergehen liess“ (ja, es ist so: Ein Teil der Therapeuten arbeitete extrem schmerzhaft). Ich war von der Nachwirkung aber begeistert, entdeckte unglaublich viel an mir selbst und gönnte mir in den folgenden Jahren an die hundert solcher Sitzungen, zuerst in Amerika und Deutschland, dann in der Schweiz. Aber erst seit kurzer Zeit fühlt sich – mit bald 55 Jahren! – mein Rücken als Ganzes wirklich kräftig und geschmeidig an (mein Rücken war seit meiner Kindheit eine meiner Schwachstellen), ist er gegenüber Schmerzen ziemlich stabil, löst sich das innere Empfinden auf, dass er, eben: eine Schwachstelle sei (das ist das eigentliche Wunder!). Wie kommt das?
Ich musste mir über drei Dinge Rechenschaft geben:
1. Das Wissen, wie man besagtes Alignement in Eigenregie weiterführen, dh üben kann, ist wesentlich jünger. Es nennt sich „Normal Function“ und wurde von einem Schweizer Arzt, Hans Flury, entwickelt. Als Hans begann, in Zürich als Rolfer zu arbeiten, war ich einer seiner ersten Kunden. Ich war eben aus Amerika zurückgekommen und wartete, nach einem eher gescheiterten Versuch mit dem Sohn von Ida Rolf (der Namensgeberin) auf einen Therapeuten, um meine Entwicklung weiterzuführen. So gehörte ich dann später auch zu den ersten Nutzniessern, als Hans die Bewegungsschule Normal Function entwickelte. Erst dank dieser Bewegungsschule konnte ich in diesem Bereich selbständig an mir arbeiten.
2. Das Vorhandensein von Wissen ist etwas anderes, als es konsequent anzuwenden. So lernte ich erst im Verlauf von einigen Jahren, wie ich Normal Function in optimaler, das heisst, konsequent förderlicher Weise anwenden konnte, und was es alles brauchte, um Nachhaltigkeit zu erzeugen, die einen echten und markanten Unterschied macht. (Ich konnte mich bis heute nicht mit dem Wort „besser“ anfreunden. Lieber ist mir „gut“). – Damit sind wir schon relativ nahe an der Gegenwart.
3. Oft ermöglicht erst eine Lösung im Tiefenbereich – ich nenne ihn „Rootset“ – die angestrebte nachhaltige Entwicklung. Das beste Wissen, das konsequenteste Üben bleiben oft ohne nachhaltigen Erfolg, wenn die Anordnung aus dem Rootset zB heisst: «Du brauchst eine Fehlhaltung, um dein Empfinden von Unwert zu behalten.» Glauben Sie mir, Sie werden es nicht schaffen, Ihre angestrebte Neuerung 24 Stunden am Tag zu kontrollieren. Andererseits ist Ihr Rootset jeden Tag 24 Stunden an der Arbeit. So gehörte es zu den wunderbaren Überraschungen aus meinem Schmoren in meiner ganz persönlichen Hölle (zum Thema „Facing Hell“ siehe mehrere Artikel in meinem Newsletter Werkplatz 2BD), als es gelang, in meinem Rücken, in einem Alter, wann die meisten eher dazu tendieren zu kollabieren, gleichsam ein neues Paradigma zu schaffen: dem des starken, widerstandsfähigen, den Körper mit Leichtigkeit tragenden Rückens.
Nachsatz: Das Glück – dem man manchmal ein bisschen nachhelfen darf – will es nun, dass ein besonders fähiger Rolfer und Lehrer für Normal Function im neu entstehenden Root-Mind-Center in Winterthur in Untermiete ist. Das heisst für mich persönlich, ich habe die Quelle im Haus. Und es heisst für die Lernenden am RMC, wann immer sie eine körperliche Entsprechung für ihr inneres „Alignment“ suchen, müssen sie dafür nicht mal um die Ecke gehen; Melchior Ryser steht zur Verfügung.