Dialog in politischen Konflikten

von 2b am 24. August 2006

Ich habe in der Tiefkühltruhe noch ein älteres Stück Fleisch gefunden. Gerade, als ich über Diskussion und Dialog schrieb, ist es mir in den Sinn gekommen. Ich schmeiss es mal auf den Grill. Mal sehen, ob noch etwas Saft drin ist.

Es ist eine Anleitung – nein, nicht zum unglücklich Sein, auch nicht zum glücklich Sein: Eine Anleitung, sich einzumischen, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen; sich rauszuhalten und doch beizutragen.

Wie können wir vorgehen, um zB in politischen Konflikten der Lösung zum Erfolg zu verhelfen? Was macht den Unterschied?

Dialog als Chance

  1. Allen Menschen muss mE die Möglichkeit erhalten bleiben, selbst aus der Not hinauszufinden. Wer da nicht raus möchte, sondern unbedingt in derselben alten Logik weiterexistieren möchte, soll das mE tun können. Wie im Titel steht, handelt es sich um Chancen. Da ist Zurückhaltung geboten. So wäre das für mich ganz ok, wenn ein Kollektiv nicht bereit ist, der Logik der Lösung zu folgen bzw sich weigert, deren Bedingungen herzustellen. Die Konsequenzen hingegen sind stets zwingend.
  2. Dort, wo aber die Bereitschaft, aus dem Teufelskreis herauszufinden, vorhanden ist, wird die Lösung konsequent dialogisch erarbeitet. Dieser Dialog muss beginnen, bevor zB die Hungersnot akut eintritt.
    Bedingung: Vor dem Dialog weiss keiner, was wie zu geschehen hat.
    Die Menschen in Not haben ihre Kompetenz. Sie kennen die Verhältnisse: die sozialen, die wirtschaftlichen, die regioklimatischen. Einige der Dialogpartner, die von aussen dazu kommen, besitzen die Erfahrung mit nachhaltigen Lösungen, kennen technologische Erleichterungen usw.Der Dialog folgt der Frage: Was hilft wirklich? Die Antwort darauf schliesst in der Regel Entwicklungen in allen möglichen Bereichen zwingend ein. Nachhaltigkeit sowieso. Der Dialog kann irgendwohin führen, zB auch zurück zu Punkt 1 oder vorwärts zu Punkt 3. Zeichnet sich die Lösung für eine konkrete Situation ab, wird kein Programm erarbeitet, sondern nur der nächste Schritt bestimmt. Während und nach jedem Schritt wird die Lage wiederum dialogisch kritisch beurteilt. Hat es funktioniert? Beantworten wir tatsächlich die gestellte Frage? Während des Dialogs werden kaum Entscheidungen gefällt. Der Dialog wirkt nach und führt zu Entscheidungen. Eigenverantwortlich. Souverän. Ohne die Aussenstehenden. Die Betroffenen selbst können und müssen sich in ihrer Lösungshaltung bewähren.

    Teilnehmer an diesem Dialog – und somit mitverantwortlich für die Lösung – auf der Seite einer in Not geratenen bzw in Not lebenden Bevölkerung einer Region sind nicht nur die Not leidenden Menschen selbst, sondern auch deren oft korrupte „Volksvertreter“ in der Regierung, die ebenso oft korrupten und verbrecherisch gesinnten wirtschaftlichen Profiteure (sonst würden sie die Not ja nicht zulassen!), sowie das dort meist verbrecherisch gesinnte Regime (dito).
    Den Unterschied macht hier, dass das üblicherweise umgekehrt angegangen wird: Die politischen und wirtschaftlichen Interessen werden üblicherweise im Verbund mit den Mächtigen abgemischt. Und man fragt sich ausnahmsweise, ob man auch der Bevölkerung selbst Gehör verschaffen will.
    Ich meinerseits verstehe das so: Es ist fair und für die Lösung nützlich, dass auch die Profiteure der Not am Dialog über die Lösung teilnehmen, obwohl sie meist zutiefst schuldig sind. Im Sinne der Selbsthilfe (siehe Punkt 1) kann der Dialog auch mit vehementer Klarheit dahin führen, dass Einzelne von ihren Privilegien lassen oder gar ganz abtreten müssen, um einer Lösung Platz zu machen.
    (Ich weiss, da sagen nun viele: „Das ist vollkommen unrealistisch; das kriegst du nie so rum hin.“ Ich sage dazu: „Ihr seid schon in eurer Haltung Schwächlinge! So kriegt Ihr nie eine Lösung hin, die sich so nennen darf!“)
    Der Dialog schliesst die Diskussion absolut aus. Der Dialog erfordert auch keine Kompromisse. Kompromisse schwächen. Der Dialog fördert die ‚richtige‘ Lösung zutage (Richtige Lösungen halten sich überhaupt nicht an unsere Vorstellungen. Richtige Lösungen sind jene, bei denen alle Beteiligten – und zusätzlich alle Betroffenen – gewinnen. Dies auch dann, wenn sie einen hohen Preis bezahlen müssen, wie zB abzutreten. Es ist sehr kurzsichtig zu glauben, nur das Wahren von Macht und Profit bedeuteten Gewinn. Den falschen Platz verlassen kann viel mehr Gewinn bedeuten, auch wenn sich das wie eine Niederlage anfühlt). Alle Beteiligten bewegen sich. Und zwar vorwärts! Alle lösen sich definitiv von etwas und alle gewinnen dafür Neues.

    Der Dialog endet, Schritte werden gemacht Er beginnt von neuem, dauert lange, dauert kurz.
    Schritte erscheinen oft kaum als Entschluss. Sie sind logisches Vorgehen, das den Beteiligten am Dialog klar ist oder allmählich dämmert. Dialoge schaffen Klarheit und öffnen Räume für Entwicklungen, die in der Folge stattfinden. Beschlüsse wie „wir schicken euch das und das“ sind Nebenprodukte. Also kein Communiqué, kein Abkommen. Wenn“s nicht funktioniert, war es auch nicht die Antwort auf die Frage: Was hilft wirklich? Wir kehren zurück zu Punkt 1. Oder der Dialog wird wieder aufgenommen.

    Dieses Vorgehen ist geradezu anmassend einfach. Sich auf die Frage einigen, was wirklich hilft und den Dialog lernen: Das dürfte den Hauptaufwand mit sich bringen. Es beginnt in der Regel damit, dass einige auftreten, die Macht besitzen und wissen wie vorgehen. Aber vorerst geht es vielleicht zurück zu Punkt 1, wo jeder Recht hat und für die andern Unrecht. Beharrlichkeit und Konsequenz, sowohl im Handeln als auch in der Zuwendung, sind gefragt. Doch wirklich erwachsene Menschen haben damit kein Problem.

  3. Von isolierten Schritten wird abgesehen. (Soforthilfe, zB für in akute, lebensbedrohliche Not geratene Menschen, ist ein mitmenschliches Gebot und somit selbstverständlich. Das ist keine Lösung im hier beschriebenen Sinn).
    Jeder Schritt zur Hilfe wird von der Frage beeinflusst: Wie tue ich diesen Schritt, damit er mittel- und langfristiges Wohlergehen dieser Menschen erstens möglich macht und zweitens bereits einleitet? Dieser langfristig ausgerichtete Lösungskontext ist permanent vorhanden und beeinflusst jede Handlung. Oft sind es unmerkliche, feine Unterscheidungen wie „wir machen es im Detail so“, die den Raum für die grössere Lösung öffnen und die Handlungen von Beginn weg konsequent darauf hin orientieren.
    Nochmals: Die jeweils richtige Lösung erfordert keine Kompromisse. Sie ist das Resultat davon, dass sich alle am Dialog Beteiligten bewegen (auch die ‚Berater‘!).Satt werden hat für die Mehrzahl der Menschen auch heute noch erste Priorität. Die bereits Satten aber haben im Dialog die Pflicht, sofort Abstand zu nehmen vom blinden Streben nach noch mehr, das uns früher korrupt gemacht hat und heute krank. (Ich nehme an, dass viele nun rufen: «Falsch! Ich bin auch heute noch korrupt und doch bereits krank!»). Die Satten (innerhalb des jeweiligen Landes sowie die Auswärtigen) fassen die nächste Priorität bereits ins Auge. So kommt für die Betroffenen ein Prozess in Gang, der beides zugleich anstrebt: nachhaltiges Sattsein und umfassendes Wohlergehen.
    Dank der fantastischen Ressourcen, die wir Menschen erschlossen und entwickelt haben, ist das mE übriegens ab sofort möglich.

Die beschriebene Vorgehensweise kann den Unterschied machen. Sie beschleunigt den Lösungsprozess, ich schätze: exponentiell. Dies umso mehr, je konsequenter sie angewandt wird. –


Ok, es ist offensichtlich: Das ist Utopie!
Nun, um Utopien zur Wirklichkeit zu führen, ist Macht das geeignete (Druck-)Mittel. (Legitime) Macht haben jene, die etwas haben, das andere vermissen. (Siehe auch ‚Konsequenzen‘ unter Punkt 1).

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