Nochmals: Über das einfache Finden von wirksamen Lösungen
Ich spreche im Folgenden von meiner Person. Weil ich skeptisch bin gegenüber Theorien, die sich jemand einfach ausdenkt. Aber es geht nicht um meine Person. Ich bin unwichtig. Die Reflexion meiner Erfahrungen soll als Beispiel, oder besser noch: als Modell dienen, das grundsätzlich jedermann und natürlich stets auch jede Frau benutzen können, sofern sie die Voraussetzungen dafür erfüllen. Das wiederum schafft den nötigen Raum für regelmässige, ja, automatische kritische Überprüfung – eines meiner wichtigsten Anliegen. Denn es gilt stets zu beachten: ‚tempora mutantur…‘
In den letzten Monaten habe ich mich hier vielfach (genau 34 mal) politisch geäussert. Ich habe in meinem Newsletter neben vielen weiterführenden Artikeln sogar eine politische Vision für das 21. Jahrhundert publiziert. Ich habe mich gar zur Behauptung verstiegen, dass es stets einfache Lösungswege für komplizierte Konflikte gebe. Ja, schlimmer: Dass nur einfache Lösungen für grosse, komplexe Dinge echte Lösungen versprächen!
Bei so viel Anmassung ist es wohl an der Zeit, zu bekennen, dass ich frei bin von der Vorstellung, meine Analysen verkörperten die einzige Wahrheit. Überhaupt so etwas wie die Wahrheit. Im Gegenteil: Ich bin nicht einmal ein Experte in politischen Fragen. Aber ich bin so frei zu behaupten, dass das durchaus ein Vorteil sein kann. Sogar der entscheidende Vorteil. Und ich nutze diesen Vorteil! Regelmässig.
Weshalb ein Vorteil?
- Erstens habe ich zu den politischen Themen Abstand. Ich laufe kaum Gefahr, mich in unzähligen Fakten und Gesichtspunkten zu verlieren – gleichsam vor lauter Bäumen blind für den Wald zu sein. (Ich kenne diese Gefahr aus den Gebieten, in denen ich Experte bin. Und ich hatte dafür geeignete Gegenmassnahmen zu treffen (s.u.)).
- Zweitens schafft das überschaubare Mass an Informationen Raum für die Intuition/Einsicht. Wie bereits früher erwähnt, bin ich weniger ein Mann des Wissens, vielmehr ein Mann des Verstehens. Wenn einfache und hochwirksame grosse Lösungen gefragt sind, erachte ich das als unschätzbaren Vorteil.
- Drittens zwingt mich das beschränkte Wissen und der Abstand zum Geschehen zu etwas, das ich als unabdingbar betrachte für das dialogische Finden von Lösungen: zu Kontakt. Ich muss – und das übe ich seit dreissig Jahren in meinem Berufsalltag – die beschränkten Informationen verbinden mit dem In-Kontakt-treten. Kontakt mit der Sache, mit den Menschen, die in der Sache drin sind, mit mir selbst. Dann gilt es – immer noch im Kontakt! – zu warten. Zu warten, bis eine Lösung auftaucht. Oder zumindest ein Schimmer davon. Ich durfte schon so oft zur Findung von Lösungen beitragen, dass ich heute rundweg behaupte: Wenn in mir keine Lösung auftaucht, ist auch noch keine Lösung reif. Vielleicht taucht sie bei jemand anderem auf. Dann war ich der falsche Mann, dazu beizutragen. Das kann leicht sein. Bei grossen Lösungen sollte vieles zusammenstimmen.
Als Erstes gilt es bei festgefahrenen Konflikten stets, aus gehörigem Abstand zu prüfen, was die unheilvolle Dynamik in eine heilsame verwandeln kann. Und dieser etwas magisch wirkende Punkt (Turning Point) ist stets einfach (‚magisch‘ heisst, die Gesetzmässigkeit ist nicht für alle einsehbar). Muss er sein! Sonst geht’s gar nicht. Nur: finden muss man ihn (s.o.).
Sicher ist aber: Feilschen und diskutieren führen mit jeder Garantie daran vorbei!
Soweit mal so gut für heute.
Was bleibt Experten? Nun, sie berichten, sie beraten, sie führen weiter. Und tragen so zur Lösung bei. Oder sie benutzen eine Disziplin, die auch sie befähigt, unmittelbar die Lösung zu finden.
Da wo ich ein bisschen Experte bin – zB im Lernen, im Den-Grund-der-Dinge-Finden oder im Menschen-Erkennen – bringe ich mich in die Lage des Dilettanten: Ich befreie mich laufend – auch mitten in Prozessen – vom Wissen und begegne immer wieder neu und unvoreingenommen (Achtung: gelingt nur bei vollständiger äusserer und innerer Unabhängigkeit! Ich weiss, wovon ich rede; ich wurde oft nass.). Das ist eine strenge Disziplin. Aber es funktioniert. Das Wissen hilft dann später, rasch zu erkennen, was eben aufgetaucht ist. Und es hilft, sofort richtig zu handeln.
Ich musste dafür noch eine weitere Disziplin üben.
Früher, als ich noch als Psychotherapeut arbeitete, habe ich stets behauptet: In den ersten Sekunden erkenne ich, wen ich vor mir habe. Die Tür öffnen, ein Händedruck und ich weiss es. Sobald man sich gegenüber sitzt und spricht, wird der Eindruck komplex, differenziert – aber auch kompliziert. Eindrücke werden relativiert, korrigiert – aber es schwinden auch die Konturen, die einfache Klahrheit und mit ihr ein grosses Stück Wahrheit, wahrscheinlich die Wesentliche. Differenzierung hat natürlich Vorteile. Ist in der Regel auch nützlich, ja, nötig. Für starke, wuchtige Lösungen aber habe ich mich gezwungen, mich auch später an den ersten Eindruck zu erinnern und ihm zu vertrauen. Zu oft musste ich sagen: ‚Ich hab’s doch gewusst‘, um an dieser Disziplin noch zu zweifeln.
Nochmals so weit so gut – für die Experten.
Das Wort ‚ich‘ kommt oft vor in Ihrem Blog. Dann schreiben Sie den Satz ‚ich bin nicht wichtig‘. Wen soll das überzeugen?
Agnes S. am 6. September 2006 um 16:52 Uhrihre fragen, frau s., sind von kritischer anmut.
die heutige hat mich zu einem statement angeregt. nichts für ungut!
meine einstellung zu diesem blog ist, dass er ein ganz persönliches medium ist. ich erzähle vor allem von mir, von meinen erkenntnissen und erfahrunen. es mag erstaunen, aber das persönliche gibt mir freiheit. ich bin dadurch frei, auch meine erkenntnisse persönlich einzufärben, sie zb auf humorvolle weise zu präsentieren, sie nicht so tierisch ernst zu nehmen (der ausdruck sagt’s: tiere sind meist ernst, gehen zur sache. aber ich habe auch schon gämsen schlitteln gesehen: ein sprung mit allen vieren in die luft, und ab geht die post, auf dem rücken über’s schneefeld geglitten; wieder rauf und noch einmal!).
indem ich es persönlich mache, bleibe ich unabhängig. keiner bestimmten darstellungsart, keinem stil, keinem bestimmtem lesergeschmack verpflichtet. ich kann die schwersten brocken so bringen, als ob sie daunenfedern wären und den schneeflocken das gewicht von zaunpfählen verleihen. ich kann mich – und das ist mir besonders wichtig – darum foutieren, wie, was und ob überhaupt aufgenommen wird.
also: gerade der vielen ‚ichs‘ wegen dokumentiere ich, dass meine person unwichtig ist. ich bin mir stets bewusst, dass ich einer unter sechs milliarden bin.
2BD am 6. September 2006 um 19:46 UhrStill: May be, you’re a little bit ahead of your time, Bernhard.
Peter Fromm, N.Y.C. am 7. September 2006 um 21:03 Uhroh peter – glaubst du, dass das erst post mortem etwas wird?
2BD am 9. Mai 2007 um 23:56 Uhr