Heute ist Sonntag – Zeit für Karl Marx
Hat doch heute der Pfarrer in der Kirche tatsächlich von Geld, von Steuern und Investment gesprochen. Dabei gehörte das doch zu den stärksten und populärsten Auftritten von Jesus, als er damals zu Sabbat in den Tempel eindrang. ‚Du sollst den Sabbat heiligen!‘ Na, sei’s drum. Wenn der Pfarrer darf, darf ich auch. Sogar extra aus dem Geldsumpf gefischt.
Heute also verwegene Fragen zu Blutgeld und Schwarzgeld – und, falls ich dazu komme, endlich etwas zu den Armen. Wird etwas länger. Aber wenn sie schon heute in der Sonntagspresse zur Sprache kamen…
… im Zusammenhang mit Marx. – Da sehen wir mal wieder, wie intensiv der Einklang von BesucherInnen meiner Website mit dem Zeitgeist ist: Gestern – einen Tag früher als die grosse Presse! – kam der Marxismus aufs Tapet.
Was ich zu meiner gestrigen Antwort noch beifügen möchte – ausser den Beitrag zu Armut – ist Folgendes:
- Ich bin schon mal froh, wenn Karl Marx nach 150 Jahren endlich die verdiente Wertschätzung widerfährt. Es ist faszinierend, wie erfolgreich und komplett die Verteufelung durch die kapitalistisch-konservativen Ideologen, die – wohl berechtigte – Angst um ihre Pfründe hatten, auf die gesamte Gesellschaft einwirkte. Wer Marx inspirierend fand – ohne sich mit der Politik, die daraus erwuchs, schon zu identifizieren – wurde zum Staatsfeind erklärt. Dasselbe gelang mit den Begriffen Sozialismus und Kommunismus. Das sind Star-Beispiele für äusserst erfolgreiches Kreieren von Mythen bzw der Negativbesetzung von Mindkonzepten. Marx zu lesen oder gar offen davon zu schreiben, war verboten; es bedeutete: zum Abschuss freigegeben. Davon werden wir uns nur langsam erholen. Die bürgerliche (diesmal ein zum Schimpfwort mutiertes Mindkonzept von der linken Seite) Presse macht hier einen wohltuenden Anfang.
Also in dieser Hinsicht ist das eine gute Sache, die zurzeit geschieht (natürlich erst, nachdem jede politische Gefahr aus jener Ecke gebannt ist!). - Festzustellen, dass Marx auch noch nach 150 Jahren die Sache in vielem richtig erkannte, kann doch nicht erstaunen, oder? Schliesslich handelt es sich immer noch um das gleiche Wirtschaftssystem, das Marx analysiert hatte. Kapitalismus ist Kapitalismus und wird immer Kapitalismus bleiben (Dieses Wort gehört auch noch zum Mythos: Wer die eigentlich wertneutrale Wahrheit, also Kapitalismus sagte, wurde bereits als Feind entlarvt. Die Linke ihrerseits benutzt das bis heute ebenfalls als Schimpfwort. Also ein Fall von Doppelnutzung eines negativen Mindkonzepts).
- Das heisst doch nicht, dass Marxismus deshalb noch aktuell ist. Denn die politischen Konsequenzen, die damals passten, sind längst obsolet geworden. Wo ist das Proletariat? Und möchte Sie gern vom Proletariat regiert werden? Die proletarische Idylle, wie sie einst Wilhelm Reich – Freudschüler (ausführlicher) und längere Zeit Marxist (in den dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts) – gesehen zu haben glaubte (anhand von deren Orgasmusfähigkeit; kein schlechtes Kriterium, nicht?) mutet mich heute lächerlich an. Winterthur ist eine Proleten- und Alternativlerstadt. Da begegne ich täglich diesen alten politische Heiligen. Das schaut aber eher nach allerniedrigster Lebensqualität aus. Von diesen Menschen diktiert bekommen, was im Leben Sache ist? Bei allem Respekt, aber: nein danke!
Das nur ein Beispiel aus dem Museum. - Dass Marx sich, nach meiner Ansicht, bei aller Brillanz seiner Analyse, auch grundlegend irrte (siehe Werkplatz 2BD Nr. 35 11/05), verweist seine Existenz und Theorie vollends ins Museum – allerdings, neuerdings auch in hiesigen Gefielden, auf einen Ehrenplatz.
Weiterhin einen schönen Sonntag, zB mit unserem bald schon steinreichen Roger Federer (und). Letzteres auch ein bisschen zu Ehren des von der Fifa gebeutelten Herbert Grönemeyers und dessen WM-Song!).
Sie entwickeln eine neue politische Vision, vielleicht gar ein neues Wirtschaftsmodell.
2b am 29. Oktober 2006 um 22:02 UhrWelches ist denn die gesellschaftliche Schicht, die Ihre Vision tragen soll, wenn es nicht mehr die Proletarier sind (was ich nur bejahen kann)?
Sie stellen die vielleicht wichtigste frage für die zukunft. aber ich weiss es nicht. (ich habe auch erst wenig darüber nachgedacht). zu welcher schicht gehören sie?
es wird sich darin zeigen, welche menschen meinen faden aufnehmen werden. welcher typ erträgt meine zt rüde sprache und erkennt zugleich den seriösen und wuchtigen gehalt? welche schicht hat zudem die möglichkeit und die bereitschaft, sich selbst eine persönliche vision zu schaffen und in ein projekt zweite lebensschule zu investieren? welche schicht schliesslich ist bereit, sich für ein umwerfendes persönliches ergebnis, das alle lebensbereiche in hervorragender weise miteinbezieht, (bis zu sechs jahre) zeit zu geben?
wer diese fragen für sich selber positiv beantworten kann, ist teil dieser (neuen?) schicht, die unsere zukunft wesentlich mitgestalten kann und hoffentlich wird.
2BD am 29. Oktober 2006 um 22:11 Uhrdanke für Ihre Antwort.
2b am 29. Oktober 2006 um 22:21 UhrIch selbst gehöre zur gebildeten, eher oberen, Mittelschicht.
Ich bin zwar in der Wirtschaft involviert, habe mir aber stets einen inneren, kritischen Abstand zu den ganzen Mechanismen, Zwängen und Mythen bewahrt und mich stets für kritische Literatur interessiert. Man könnte sagen: Im besten Sinn aufgeklärt. Der Liberalismus ist mir nicht fremd, aber gleichzeitig auch suspekt.
Glauben Sie, ich bin ein Modellfall?
wie gesagt: ich weiss es (noch) nicht. warten wir ab, welche stimmen sich in zukunft häufen werden.
2BD am 29. Oktober 2006 um 22:26 Uhrmein blick ist zurzeit noch von individuen gefüllt – eine berufskrankheit. daher sage ich zurzeit: jeder mensch – egal aus welcher schicht, welchen alters und aus welcher kultur – der die genannten bedingungen erfüllt, schafft an der verwirklichung dieser, meiner vision (übrigens auch, wenn er oder sie nichts davon weiss).