Reisebericht 3: Die Amerikaner – ein Beitrag zur Entwichtigung

von 2b am 19. Juni 2007

Die Amerikaner sind ein liebenswertes Volk, aber nicht wirklich gesund. Nein, nicht wirklich.
Nun habe ich die Amerikaner und -innen wieder einmal lange betrachtet. Und, entgegen meiner früheren Geringschätzung, die damals einem veritablen Schock entsprang, finde ich ein gutes Verhältnis zu diesem bunten Völckchen.
Ich mag die Amerikaner. Sie sind doch ein liebenswertes Volk.

Ich gönne den Amerikanern ihren übersteigerten und liebenswert irrealen Selbstwert. Was haben sie denn sonst?
Sie entschuldigen sich ja dafür, wenn wieder einmal offenbar wird, dass sie nichts über die Welt ausserhalb Amerikas wissen.
Und dann gleich offenherzig – ja, das sind sie fürwahr! – zugeben, dass sie ja über ihr eigenes Land auch nichts wissen.

Aber die Amerikaner – egal welchen ethischen Ursprungs – sind nicht besonders gesund. Nein, wirklich nicht. Bei dieser Ernährung kein Wunder! Und der von ‚most modern Times‘ doch unverseucht vermutete über 70-Jährige, der in seine bereits zuckersüsse Pepsi vier(!) Briefchen Zucker schüttet, vermag mich auch nicht eines Besseren zu belehren.

Wenn ich mich unter amerikanische Massen mische, so komme ich mir vor, wie im Park eines riesigen Sanatoriums, wo junge und alte Patienten sich mischen. Nur, welcher vernünftige Mensch käme auf die Idee, die Patienten einer Klinik für chronisch Kranke als Regierung zu wählen? Als Regierung der Welt dazu?
Gleichwohl kann man auf Schritt und Tritt die spezifischen Tüchtigkeiten der AmerikanerInnen erleben. Das gehört zu ihren liebenswerten Eigenschaften dazu und bietet Anlass zu mannigfaltiger Freude.

Und manchmal Heiterkeit, wie zB die Gesetzgebung.
So wird der beste Wein, so der Tisch unter freiem Himmel steht, konsequent in billigsten Plastikbechern serviert; Becher, aus denen wir uns hierzulande sogar weigern, Wasser zu trinken. Weshalb? Niemand weiss das. Gesetz! Und wie die Amerikaner mit Gesetzen so sind: konsequent angewandt. (Die haben vielleicht Angst, die Menschen. Und dann tun sie aber so, als ob sie stark wären, wenn sie brav auch den… Gesetzen folgen).
Auf der andern Seite dann: Leben in einer rauchfreien und, zumindest bezüglich Flächenverteilung, alkoholarmen Welt. Einfach herrlich! Bin ich froh, dass die Amerikaner die Gesetze konsequent befolgen.

Es sind diese unglaublichen Widersprüche zwischen Gefängnis und Freiheit, zwischen totaler Passivität und aktivem Gestalten, die andauernd frappieren. Und leider auch beredte Zeugen sind von der allgegenwärtigen krassen Abtrennung von der Quelle der Lebendigkeit und somit leider: von der Lebensintelligenz.
Aber eben: Sogar Tüchtigkeit, die rein aus dem Intellekt und der ebenso allgegenwärtigen panischen Angst geboren ist, führt zu einer Reihe hervorragender Errungenschaften. Die Raumfahrt ist beredtes Beispiel dafür. Das Ganze wirkt nicht klug, aber technisch sehr beeindruckend.

Dieser Drang nach Selbstbestimmung in derselben Haut wie sklavische Abhängigkeit von Impulsen von Aussen, hat wahrhaftig etwas drollig Liebenswertes.

Der hingegen bereits manische Umgang mit Behinderten – sie sind die klar wichtigsten Personen des Landes, zumindest als solche deklariert! – würde hierzulande Blocher und seiner Partei das Wasser in die Augen treiben, schlaflose Nächte inklusive (auf zur 6., 7. und gleich 8. IV-Revision!). Und das allein schon stimmt doch fröhlich.
Geradezu zur Heiterkeit gerät die Sache, wenn die Identifikation mit Behinderten (oder sind es bloss bis zum Überdruss demonstrierte Schuldgefühle wegen dieser endlosen und seit je andauernden Verbrechen gegen die Lebendigkeit?) ihren durchaus typischen Ausdruck darin findet, dass vor einem neuen Ferien-Resort, das gerade im Rohbau fertig ist, im Sand der Pampa bereits die Tafeln einbetoniert sind, die die zukünftigen Behindertenparkplätze markieren.
Bist du in Amerika nichts und hast im Leben nichts erreicht, möchtest aber trotzdem mal in der ersten Reihe sitzen: werde Behinderte oder Behinderter!
Die Behinderten in Rollstühlen, wie wir sie hierzulande sehen, mit Lähmungen, Missbildungen usw, gibt es in Amerika glücklicherweise nicht häufiger als bei uns (plus die Zusatzzahl der Kriegsversehrten!). Die schiere Masse machen jene RollstuhlfahrerInnen, die vor lauter Fett nicht mehr gehen können oder aus irgendeinem andern Grund in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt sind und dann rasch auf den Rollstuhl umsteigen. Bei uns trippeln und hinken diese Menschen durch die Strassen, halten sich an Stöcken und gehören einfach dazu. Aber in Amerika wagt es wohl niemand ernsthaft, solche Menschen zu reanimieren. Wieso auch? In besserer Verfassung, also ohne Rollstuhl, bist du immer noch nichts und niemand. Im Rollstuhl aber wagt es niemand – niemand! – dich zu ignorieren. Du kommst stets zuerst. Du fährst gleichsam erste Klasse. Gratis! Im Vergleich zum gewöhnlichen Looser-Dasein ist dort das Behindertendasein das reinste Halleluja.

Die extreme Kommunikativität der Amerikaner, die schon Kleinkinder beherrschen (und dich ständig anquatschen), die fast schon manische Züge annimmt, und das verbunden mit totaler Unverbindlichkeit, verführt zu diesem typischen fröhlichen, zwanglosen und bedeutungslosen Miteinander.
Ein bisschen traurig dann, dass praktisch jedes Kind, das uns begegnet, von geschiedenen Eltern stammt. Nein, das ist noch nicht traurig. Aber das Gieren nach Anerkennung und Identifikation, das in dieser, besonders bei Kindern fast schon zwanghaften Kommunikativität mitschwingt, stimmt etwas traurig.

Sei`s drum. Es sind halt Amerikaner. Und wer sich darauf einstellt, hat reelle Chancen auf eine gute Zeit. Die halt ebenso schnell vergessen geht, wie die Strassenzüge, die sich partout gleichen wie ein Ei dem andern.
Als zusätzliches Opfer der zu wahren Höchstleistungen getriebenen Kunst ‚wie signalisiere ich schlecht‘, lernt jeder Besucher schnell die nächste typisch amerikanische Kunst: die halbe Lebenszeit im Auto zu verfahren.

„Amerika ist eine Republik. Das ist etwas ganz anderes als unsere Demokratie, da zählt die öffentliche Sache, das was die Leader sagen; der Rest ist blosses Marketing“, bemerkt mein junger St. Galler Studius und liefert den Anschauungsunterricht gleich mit.

Die Amerikaner: Ein absolutes Herdenvolk, das soviel auf seine Individualität gibt.

Amerika, ich war gerne da. Und ich denke (jetzt noch), ich komme gerne wieder. (Aber das beginne ich vor lauter Unverbindlichkeit auch bereits zu vergessen).
Wo in der Welt – ausser da wo Hunger herrscht – ist es für Unsereins einfacher, schlank und rank zu bleiben? Weil einen einfach nichts anmacht, um es mal schonend zu formulieren (trotz heftigen Protests unserer offenbar kulinarisch schlecht erzogenen Söhne).

Nichts zwingt uns ja dazu, die Amerikaner ganz ernst zu nehmen.

Denn das wäre natürlich dumm! Oder nehmen Sie etwa deren Präsidenten – perfektes Abbild des Durchschnittsamerikaners – ernst? Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen Bush ernst! Nun, machen Sie sich doch nicht lächerlich!

Auch die Amerikaner, die im Durchlauferhitzer in unser Land gelangen, sind – geben Sie es zu! – ein liebenswerter Schlag.
Wenn ich an die ausschliesslich aus den oberen Kasten stammenden Inder denke, die unser Land bereisen und glauben, auch hier bloss Parias um sich zu haben (manchmal einfach absolut degoutant), oder an die Russen – dort sind es Geldkasten – die sich (glücklicherweise abnehmend) ganz ähnlich verhalten, bloss zusätzlich noch stillos, oder an die unsäglich unwissend-ignoranten Chinesen (eine wahrlich pfeffrige Mischung!), so lob ich mir die amerikanischen Touristen, die dank ihres verbreiteten Wohlstands doch in etwa derselben Mischung hier eintreffen, wie sie auch zuhause zu finden sind. Was macht mir da mehr Freude, als ebenso überfreundlich und kommunikativ mit ihnen die eh aus Prinzip kurz bemessene Zeit zu geniessen, stets mit einem kleinen, liebevollen Schmunzeln verbunden? Wie man das mit Kindern in viel zu grossen Kleidern eben tut; ganz besonders wenn sie kränklich sind und dazu noch ‚verschupft‘ (etwas verwahrlost, stets von mindestens einem Elternteil verlassen).

Also: GOD SAVE AMERICA!
Kein Einwand. Besonders da sie die ersten sind, deren ohnehin spärlich vorhandene Kultur droht unterzugehen.

A propos Gott: Wer würde sich in Europa noch getrauen, auf einem Automietvertrag als Versicherungsausschluss, nebst Hurricanes, Terrorismus usw, ‚direkt von Gott Bewirktes‘ zu vermerken? Einfach schnüggelig diese Amerikaner!

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