Dialog zum ‘3à—3 der Ernährung“ (Forts. 2)
Gerade eben war ich etwas tiefer eingetaucht in das, was mich bei chronisch hungernden Gesellschaften neben dem Mitgefühl bewegt: „Rasch taucht bei mir die Frage nach der LebensKompetenz (LK) der betreffenden Gesellschaft auf.“
Und ich habe gefordert, diese Frage stets für die Gesellschaft als Ganzes zu stellen.
Ich finde, wir sollten uns unbedingt angewöhnen, Gesellschaften stets als Ganzes zu betrachten. So gelangen wir aus der hoffnungslos erfolglosen Opfer-Täter Logik heraus: Hier die Bösen, dort deren gute Opfer. Eine Gesellschaft organisiert sich über längere Zeiträume stets als Ganzes. Deren Gesamtverfassung ist Ausdruck des Grades an LK einer Gesellschaft. Oder können Sie sich einen Ameisenstaat vorstellen, wo eine herrschende Schicht die armen einfachen Ameisen unterdrückt und deshalb der Staat chronisch in Not gerät? Oder ein Bienenvolk? Oder eine Herde von Rindviechern? Natürlich nicht. Diese Systeme funktionieren. Ganz im Gegensatz zu den raffgierigen autokratischen Systemen bei uns Menschen.
Ein Land wie Nepal mehr oder weniger mit ausländischen Geldern über Wasser zu halten, ohne dass von Helferseite ernsthaft auch nur die geringste Änderung in der politischen Struktur angestrebt wird, ist mE geradezu lächerlich unintelligent. Die einzige für mich relevante Frage ist da: „Was fördert die LK jener Gesellschaft?“ Ganz sicher nicht deren politisches System (das ja mittlerweile in Auflösung begriffen ist – ein langfristig gesehen durchaus lebensintelligenter Akt der eigenen Bevölkerung, wenn auch auf sehr niedriger Stufe und mit offenem Ausgang!). – Und schon gar nicht die totale Abhängigkeit von der Religion. Denn, wie ich schon mehrfach ausführte, ist gottbezogene Ethik – also die übliche Religion – der direkte und offene Ausdruck von krasser LebensInkompetenz (LIK). Wie übrigens schon ein flüchtiger Überblick über die Weltgesellschaften eindrücklich belegt. Fairerweise muss man ‚weltliche Religionen‘ – also starre Ideologien – so sie ein Volk gängeln und beherrschen, mit der katastrophalen Wirkung von Gott-Religionen praktisch gleichstellen.
Solche Erscheinungen sind unfehlbare Anzeichen für die relative LIK einer Gesellschaft. Solidarisches Handeln, so es denn nachhaltig wirken soll, muss darauf Rücksicht nehmen.
Dabei geht es nun aber weder um die direkte Veränderung des politischen Systems, noch um die Macht der Religion – noch um andere Symptome! Sie zu verbieten (hatten wir doch schon…) fördert die LI nämlich um kein Yota! Diese Erscheinungen dienen lediglich als Information unter anderen, wie es um die LK einer Gesellschaft bestellt ist. Die Massnahmen werden dann woanders getroffen. Nämlich bei allem, was LK konkret und nachprüfbar fördert. Und das beginnt stets bei den Menschen selbst – und zwar bei der Konfrontation mit der (oben beschriebenen) Wirklichkeit = Facing Truth. Sollte auch nur eine einzige Person gezielt davon ausgenommen werden – und gebe sie sich noch so göttlich-königlich! – so scheitert das Ganze.
Neben solidarischer Soforthilfe ist das mE die einzig wirklich sinnvolle Orientierung in der Entwicklungshilfe. In der ‚Hilfe zur Entwicklung einer erfolgreichen menschlichen Gesellschaft‘ sollte das doch heissen, nicht wahr?
Was Nepal dann langfristig damit macht. Ob es ein Agrarstaat bleibt, der einfach seine sämtlichen Mitglieder anständig ernähren kann, oder etwas anderes wird, ist Sache der dort ansässigen Bevölkerung und nicht Gegenstand von ‚Entwicklungshilfe‘.
Aber, wenn es um Förderung von Lebenskompetenz geht, heisst es halt:
Wir müssen erst mal vormachen, dass wir es besser können.
Und das scheint nicht so einfach zu sein, wie Technologietransfer oder Geldspritzen.
Kommentar: Wow, das war jetzt aber eine grosszügige Antwort. Sie scheinen ja überzuquellen mit ‚anderem Denken‘. Haben Sie gewusst, dass ich in der Entwicklungshilfe engagiert war? Oder war das Zufall, oder Ihre Intuition? Jetzt muss ich mich erst mal zurückziehen und verdauen. Als Erstes werde ich mich wohl fragen, wie es um meine ‚LK‘ – oder eben ‚LIK‘ – bestellt ist. Danke herzlich für Ihr Wohlwollen. Martha.