Spektakulär

von 2b am 26. März 2010

Gestern, 200 Meter vor Ende des Skitages, vielleicht der Saison, der wohl spektakulärste Sturz meines Lebens. Zum Glück ohne Folgen.

In der Abendsonne carven wir flott durch den Frühjahrspflotsch Richtung Klosters. Zwei wunderbare Skitage neigen sich dem Ende zu. Nun ja, begonnen hat der heutige Tag nicht wunderbar, wenigstens nicht für meine Frau und mich.

Als wir am Morgen von Klosters hochfahren und rüberqueren ins Parsenngebiet, nehmen wir zum Einfahren den Skilift zur Parsenn Furka. Auffallend, und je nach Gusto störend, wie viele Skilifte es hier in Davos noch hat. In Zermatt zB hat es im ganzen riesigen Skigebiet noch einen oder zwei. Ich mag sie, meine Frau weniger. Und ganz bestimmt gar nicht die beiden Mädchen, die direkt vor uns rauffahren. Kurz vor Ende des steilsten Stücks des Skilifts stürzen die zwei nämlich. Sie schreien, versuchen sich vergeblich am Boden festzuklammern und rutschen dann mit rasant zunehmender Geschwindigkeit auf dem noch harten Schnee auf uns zu. Ein solches Malheur ist ja für die Personen, die am Bügel hängen, besonders gefährlich, da die Gestürzten in der Regel Ski voraus kommen und der Bügel verhindert, dass man einfach mitrutscht. Es gibt also einen harten Aufprall der Skis in der Beinregion. Ich habe allerdings bezüglich uns keine Bedenken, diese Situation ist mir bekannt. Ich bin also ganz bei den Mädchen. Wir gehen in die Knie und warten die «Ankunft» ab, um kurz vorher hoch zu springen, möglichst über die Skifahrerinnen hinweg. Meine Frau sieht, dass das linke Mädchen sie nicht touchieren wird und bleibt auf dem Schnee. Ich springe. Das etwa 13 jährige Mädchen ist so verängstigt, dass es seinen Kopf nicht intuitiv schützt. Das Gesicht berührt meine Skispitzen und macht Bekanntschaft mit den scharfen Kanten. Ansonsten geht der Aufprall glimpflich ab; das Mädchen rutscht mehr oder weniger unter mir durch. Ohne Helm wäre das wohl böse ausgegangen. So zieht sich zwar eine dramatische Blutspur das Trassee hinunter und das Mädchen schreit wie am Spiess und hält zusätzlich sein Bein, als es endlich anhält. Der Skilehrer der jungen (englischen) Ladies fährt zu ihr runter. Ich zögere, da Elsbeth ziemlich geschockt wirkt. Als der Skilehrer das Mädchen aber auf dem Trassee liegen lässt, und die beiden Männer, die unmittelbar dort halten als der Skilift stoppt, ziemlich hilflos dabeistehen, steige ich schliesslich doch aus und fahre runter, um zu helfen. Ziemlich viel Blut aus einer Wunde im Gesicht, aber das Bein scheint nicht arg verletzt. Also stellen wir das Mädchen sachte auf die Füsse, legen seine Arme um unsere Schultern und stützen es weg von der Spur, setzen es auf einen weichen Schneehaufen. Ich bedecke noch so gut es eben geht das Blut mit Schnee ab, um weitere unerfahrene SkifahrerInnen nicht unmittelbar vor dem Steilstück zu erschrecken, informiere noch die Bahnangestellten; dann ist mein Job erledigt und ich fahre zu Elsbeth, die auf mich wartet.
Interessant war übrigens, was das Mädchen schrie. Es schrie lauthals und inständig: „I’m sorry, I’m so sorry …,“ womit wir wieder mal beim «UV21» wären.

Schon der Vortag hatte dramatisch begonnen. Als wir mit demselben Skilift auffuhren, lagen gleich links unterhalb zwei Personen reglos im Schnee, wovon eine offensichtlich reanimiert wurde. Dabei ein Rega Heli, Retter und Schaulustige. Ein Zusammenprall? Wie wir am Tag danach erfuhren, ein Herzinfarkt, tödlich. Offenbar war die andere Person die Partnerin, die sich an den Mann schmiegte. Der restliche Skitag verlief dann reibungslos und undramatisch. Na ja, ausser, dass wir irgendwann wie Sardinen eingeklemmt Brust an Brust mit Carlo Janka – dem bekanntlich besten Skifahrer der Gegenwart – auf den Weissfluhgipfel fuhren.

„Ich bin eben hinter Carlo Janka hergefahren,“ sagte ich zu Elsbeth, als wir bei der Station Schiefer die Ski abschnallten. „Und? Wie ist er gefahren?“ „Na … gut!“ Sie glaubte es mir nicht. Als wir dann mit  Jessica Püntschera, einem Mitglied des Slalomteams der Nati, in der Gondel rauffuhren, wurde meine Geschichte wahrscheinlicher. Als Elsbeth sich schliesslich in der Kabine der Gipfelbahn, statt wie üblich an mich, (zwangsläufig) eng an Carlo lehnte, sah sie den Tatsachen förmlich in die Augen. Ein Spruch über Stars, die unverhofft zu Sardinen werden, einige Worte über die exotischen Skis von Elsbeth, dann Gelächter über die Tatsache, dass er das erste Mal in Davos Ski fuhr, schon waren wir oben. Übrigens wirkt Carlo zu Fuss gar nicht besonders sportlich. Aber eine schöne Ausstrahlung hat der zurückhaltende Star.

Schon das schlechte Omen des Vortages hatte keinen bleibenden Einfluss gehabt auf den Tag. Dasselbe durften wir vom dramatischen Beginn des zweiten annehmen. Doch, fast wäre es anders herausgekommen. Damit sind wir bei der Titelstory angelangt. Machen wir einen Sprung über den restlichen, tatsächlich wunderbaren Skitag – bis zur letzten Abfahrt.

Ich liebe es, durch den nassen Frühjahrsschnee zu carven, fast eher zu surfen. Der Ski, den ich heute an den Füssen habe – ein Renntiger von Völkl (der nächsten Saison) – ist garantiert nicht für Weichschnee gebaut; doch scheint es, dass die Slalomski der neusten Generation weniger tailliert, insbesondere unter der Bindung etwas breiter sind. Dieser Ski pflügt mit einer Leichtigkeit durch den Pflotsch, dass es eine wahre Freude ist.
So bringe ich wie im Traum den letzten Hang hinter mich und biege in den Weg ein, der zur Station führt. Da kniet ein Mann im Schnee. Er ist gestürzt. Der Weg ist etwa 3 Meter breit. Rechts neben ihm steht seine Frau und verstellt den Platz. ‚Ziemlich gedankenlos von ihr, da stehen zu bleiben,‘ denke ich noch kurz. Ich will ganz links ausweichen und vorbeifahren. Da macht der Mann, ohne nach hinten zu schauen, unvermittelt einen Ausfallschritt nach links. Nur keinen Zusammenstoss! Also fahre ich mit einem Ski über den linken Rand hinaus. Der nasse Tiefschnee bremst und zieht mir den Ski sofort vom Fuss. Schon fliege ich kopfüber durch die Luft; ein Salto, Aufprall, ein zweiter Salto, ein dritter. Ich lande unten am Hang, rechts von mir eine Tanne, links von mir eine Tanne. Der weiche, tiefe Schnee hat mich jedoch sanft empfangen und ohne jede Blessur wieder losgelassen. Glück gehabt! – Ein kurzer Blick über die Kante zu mir runter, schon sind die beiden verschwunden. Aber da sind sofort zehn andere, bereit mir zu helfen, finden meine Ski, die Stöcke, fragen wiederholt nach meinem Befinden. Ich stapfe im bodenlosen Grund hinauf, bedanke mich und beende unbehelligt den Skitag. Elsbeth übrigens war an mir vorbeigefahren und, unten angekommen, sauer, dass ich nicht auf sie gewartet hatte … Als ich ihr telefoniere, Stimmungsumschwung. „Das tut mir leid, ich rechne nun wirklich nicht damit, dass du stürzt,“ war ihre durchaus plausible Rechtfertigung.
Am Morgen hatte ich noch gesagt: „Es scheint, das gibt eine Saison ohne Sturz.“ Denkste!
Wie haben wir früher gesagt? «Erstens kommt es anders und zweitens als du denkst.»

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