Zu Fuss zum Spargelschmaus
Vor Jahresfrist kam der Artikel etwas spät. Diesmal zur rechten Zeit neu aufgelegt.
Der Hunger ist da, die Sinne sind offen; sie schmecken einfach besser, die Spargeln, wenn man sich den Schmaus ordentlich verdient. Inwiefern der fantastische Geschmack der Spargeln aus dem Dreieck zwischen Irchel, Rhein und Thur, der mE sogar die berühmten Donauspargeln in den Schatten stellt, eher der Vorleistung entspringt oder der tatsächlichen Qualität, vermag ich nicht zu sagen. Sicher ist jedenfalls, dass sich der Fussmarsch zur Spargel in mancherlei Hinsicht lohnt.
Warum sich das feine Essen also nicht durch eine vorangehende Wanderung verdienen? Für den Appetit ist das auf jeden Fall eine Wohltat. Und wenn sich der Weg erst noch so schön und erlebnisreich gestaltet, wie jener über den ganzen Rücken des Irchels zwischen Winterthur und Rhein, verliert man zwischendurch das Ziel aus den Augen. Doppelter Genuss also!
Eigentlich sind wir bloss den sparsamen, aber stets zuverlässigen Angaben Thomas Widmers – des Wanderkolumnisten des Tagesanzeigers – nachgetschumpelt. Doch, während jener eher Interessantes aus der Geschichte dazufügt, kommuniziere ich bevorzugt das Naturerlebnis und gebe da Tipps.
Sobald du das Postauto in Dättlikon (431 m) (ab Bahnhof Winterthur) verlässt hast du auch schon den Verkehr hinter dir. Der Weg führt sofort aus dem Dorf hinaus und steigt für diese sanfte Gegend überraschend steil an. Zuerst auf einem Strässchen, dann auf Wegen. Und das stets angenehm, besonders auch bezüglich der gleichmässigen Steigung. Unterwegs gibt’s immer wieder schöne Gelegenheiten für kürzere und längere Ruhepunkte. T1 (meistens) / T2.
So geht’s mehr oder weniger in einem Zug rauf auf den Irchel (665 m). Es herrscht eine schöne Frühlingsstimmung in den Wiesen und im Wald – zumindest unter der Woche, wo sich kaum jemand hier tummelt. Man erkennt aber, dass das am WE ganz anders aussehen kann.
Auf der Höhe angekommen (etwa 1 Stunde) geht’s in etwa 10 Minuten horizontal quer durch den Wald zum Irchelturm. Während man auf der Südostseite zum Irchel ansteigt, lugt der Turm nämlich Richtung Norden. Alles ist jedoch stets bestens markiert. – Ankommen und schwupps rauf auf den Turm und sich gleich ein bisschen überwältigen lassen von der prächtigen Aussicht bis weit nach Süddeutschland hinein. Direkt vor dir breiten sich die hübschen Ircheldörfer aus. Die Leute hier scheinen ein schlichtes Gemüt zu besitzen – zumindest historisch gesehen! Die Ortschaften heissen: Buch, Dorf, Berg, Fla(a)ch, … Einfacher geht’s nicht.
Zurück auf dem Boden gibt’s einen längeren Ruhepunkt. Eine bequeme Liege, aus einem Baumstamm geschnitzt, steht für den ersten bereit.
Weiter geht’s, zuerst zurück auf den Hauptweg, dann immer gen Westen. T1. Man überschreitet bald den höchsten Punkt (694 m) und gelangt dann an eine Verzweigung. Der Umweg über den Rütelbuck lohnt sich unbedingt. Abgesehen von der erneuten Aussicht gen Norden und Westen (Rhein) handelt es sich um einen ausgesucht schönen Pfad. Die Hüter des hiesigen Waldes verstehen es ausgezeichnet, gepflegte, aufgeräumte Wege bereit zu stellen, während sich gleich daneben urtümliches Dickicht ausbreitet, geschickt geschützt durch dichte, wilde Randvegetation, die keineswegs zum Eintreten einlädt. Die perfekte Mischung aus Naturschutz und Wandergenuss.
Da habe ich mir gewünscht, unsere Hüttwiler Behörden würden mal eine Delegation hierher schicken. Denn dort in unserem heimischen Wald wird offenbar alles dem Pferd (bzw dessen Lobby) unterstellt. Plus, trotz wildentschlossener Bautätigkeit („Jeder Quadratmeter muss überbaut werden!“) und folglich enorm gestiegenem Steueraufkommen, einem bürgerfeindlichen Sparfimmel, bzw Geringschätzung gegenüber den Waldspaziergängern. Ausser den stets in derselben Richtung verlaufenden Waldstrassen, die eher der Waldpflege mit Fahrzeugen, als den Fussgängern gewidmet sind, befinden sich die so wichtigen süd-nord Verbindungswege vom Seebachtal, über den Seerücken zum Rhein seit Jahren in katastrophalem, weitgehend unbegehbarem Zustand. Trotz Intervention unsererseits denkt niemand in den Behörden daran, das zu ändern. Sie meinen offenbar, mit der vorbildlichen naturkundlichen Wegführung rund um den Hüttwilersee (durch eine private Stiftung finanziert!) sei der Lebensfreude schon Genüge getan.
Hier auf dem Irchel aber ist das Wandern Genuss pur. Und die Natur bewahrt in perfektem Ausmass ihr Recht. Das gilt auch für die Fortsetzung des Weges, Richtung Westende des Irchels, das durch die Hochwacht markiert wird. Der Weg wird nun schmal und führt einem Gratweg gleich weiter. T2. Ein in gleicher Geschwindigkeit passierendes Reiterpaar lassen wir vorgehen, indem wir uns einen Powerrest mitten im Wald gönnen – bzw solange, bis sich die Ameisen unserer bemächtigt haben. Nach insgesamt weiteren etwa 1 1/2 Stunden stehst du bei der Hochwacht und entdeckst nicht weit entfernt Eglisau mit dem Rhein. Mit etwas Geländefantasie kannst du dir die Windungen ausmalen, durch die der Rhein schliesslich unmittelbar unter dem Irchel durchführt. – Historische Angaben zu den Hochwachten im Kt. Zürich sind vor Ort zu finden. Schattiges Timeout, ganz allein vor Ort.
Ab der Hochwacht – Achtung, der Wegweiser befindet sich hoch oben an einem Baum! – führt der Weg nach Norden und fällt bald zunehmend steil und etwas anspruchsvoller ab Richtung Rhein. Es wird zeitweise ziemlich ruppig und bald sind wir definitiv im T3-Gelände angelangt und finden durch landschaftlich abwechslungsreiches Gelände schliesslich ins Tal. Unterwegs triffst du auf alte Festungseinheiten aus dem zweiten Weltkrieg und kannst dir bildlich ausmalen, wie sich unsere Ahnen gedachten, gegen eine deutsche Invasion zu verteidigen. Militärhistorisch Interessierte können den Festungsanlagen noch weiter nachgehen. Alles ist gut beschildert. Für alle interessant dürften die sprachhistorischen Obskuritäten sein, die sich auf einer riesigen Hinweistafel direkt am Weg, kurz vor dem Rhein befinden. Unterwegs gilt es unbedingt den kurzen Abstecher zum Teufelsloch (o.ä.) zu machen. Wie auf einer Kanzel sieht man auf den Rhein hinunter und überblickt das gegenüberliegende Ufer.
Leider nur kurz währt der Weg direkt entlang dem Rhein; schon stehst du an der Brücke darüber (mit einem geschickt getarnten Geschütz, das direkt auf die Brücke zielte!). Sie wird höchstens für einen Blick auf den Fluss überschritten. Unser Weg führt daran vorbei und in wenigen Minuten zur Ziegelhütte (1 knappe Stunde). Für uns war damit vorläufig Endstation. Statt zu Fuss durch die weite Ebene zu wandern (flach, flaacher am flaaachsten!), trug uns das Postauto in wenigen Minuten direkt
Mitten ins ostschweizer Spargelmekka, nach Flaach
Gemäss meinem Kletterfreund, Röbi – ein echter «Dörfler» –, sind drei Spargelbeizen zu empfehlen:
- Obermühle. Zwischen Berg und Flaach gelegen. Schönes Bauernhaus. Einfache Küche.
- Post. Im Zentrum von Flaach.
- Sternen. Der (relativ zu den andern) Edelschuppen, ebenfalls nahe beim Zentrum gelegen (1 Station vor der Post aussteigen!).
- Hinzufügen kann ich noch die Trotte in Berg. Dorthin wurden wir eine Woche später eingeladen.
Durch Direktverkostung kann ich nur vom Sternen und von der Trotte berichten.
Die Trotte (pumpenvoll), in einem schönen Riegelbau installiert, hat nur zur Spargelzeit offen. Die Spargeln sind vorzüglich, sehr zart. Das ganze Ambiente eng, gemütlich; die Weine und die Zutaten deutlich einfacher als im Sternen. Herrliche, frische (?) Meringues zum Nachtisch! Die Preise etwas, aber nicht viel tiefer als im Sternen.
Im Sternen ist der riesige Garten auch unter der Woche und über Mittag voll. Die klare Spargel-Nummer-eins. Das Ambiente ist wegen des grossen Gästeaufkommens leider etwas geschäftig. Der Service leidet ab und zu darunter. Die Spargeln (übrigens: im ganzen Gebiet nur WEISSE!!) sind fett, trotzdem butterzart und taufrisch. Ein (teurer) Traum! Die Zutaten sind stets frisch, von hervorragender Qualität. Die Saucen werden zum Nachgang frisch gereicht. Die Weine sind angenehm preiswert; kleine, aber gute Auswahl.
Nach dem Schmaus verdauen
Über das Dessert kann ich nichts sagen. Wir waren reif für die Einsamkeit und für einen Verdauungsspaziergang. Flugs mit dem Postauto zurück zur Ziegelhütte und direkt von der Haltestelle aus nordwärts querfeldein, parallel zum Rhein, Richtung Thurauen. Wir hatten noch etwas vor.
Wer das Naturreservat Thurauen jetzt besucht, bleibt noch mehr oder weniger unter sich. Denn dort wird gross angerichtet. Dieses Jahr im August soll das riesige Naturschutzzentrum eingeweiht werden. Die Thurauen werden zum nationalen Monument erhoben.
Der Weg führt zuerst der Baustelle, dann dem Campingplatz und schliesslich neben Feldern nur mittelbar dem Rhein entlang, bis ein schmaler Pfad zu diesem runter führt (unbedingt nehmen!). Dort gestattete ich mir, trotz weiterer Touristen, ein Nacktbad in überraschend angenehmer Temperatur (gut, ich bin mich gewohnt); Elsbeth verzichtete dankend.
Tipp: Das nur scheinbar gegenüber liegende Ufer zeigt den Rheindamm, der ausgesucht schön zu erwandern sein soll (in etwa ab der erwähnten Brücke; oder Start in Eglisau) und am Schluss mit einer Fährenfahrt zum echten Ufer beendet werden kann (war wegen niedrigem Wasserstand ausser Betrieb).
Wir unsererseits wanderten zT weglos dem Rhein entlang, bis wir allmählich zur Mündung der Thur in den Rhein und damit in die Thurauen und auf die dort zT bereits fertige Begehungsanlage gelangten (Informationen im Internet). Auf einem kleinen Damm gehts, etwas entfernt von der Thur, am berühmten Spargelhof vorbei (kannst du Spargeln kaufen!), dann über eine Autobrücke ans andere Thurufer, wo die Auenanlage weiter geht (Der Weg ist weiter, als man denkt!).
Nach der Brücke zogen wir nach links, der Thur entlang, wieder Richtung Rhein.
Ich erinnerte mich an einen Veloausflug zur Thurmündung mit dem damals 14-jährigen Sohn Manuel. Wir feierten sein Ankommen in der Männerwelt. Nach dem obligaten Lagerfeuer auf dem kleinen Vorsprung zwischen Thur und Rhein, übernachteten wir im Freien, mitten im Wald. Am Morgen feierten wir weiter, mit einem oppulenten Picknick, das Elsbeth mit Roman als Überraschung herbeibrachten (mit Roman geschah Ähnliches auf einem Bergrücken bei Stein a.R., oberhalb des Rheins. Allerdings mitten im Winter, mit viel Schnee. Auch da gabs ein Feuer. Das Essen fand dann allerdings auf der Burg Hohenklingen, am andern Ende des Rückens, statt, inklusive Ritterschlag mit dem Schwert).
Schliesslich gelangst du nahe der Thurmündung wieder zum Rhein. Dort erlebten wir verblüfft ein Naturunikum. Am Rhein stehen riesige, alte Bäume, mit zT mehr als 1m Stammdurchmesser. Als wir am Rhein ankamen, stand dort ein solcher Baum, zu rund zwei Dritteln von Bibern durchgenagt. Unglaublich! Der endgültige Sturz in den Rhein (die wollten den stauen!!) wurde nur verhindert, indem ein Drahtgeflecht um den unteren Stamm gebunden wurde. Dasselbe machte man dann an allen weiteren dicken Bäumen entlang dem Rhein (die zT ebenfalls angeknabbert waren), mindestens bis nach Ellikon a.R. Wo wir schliesslich in der bekannten, ziemlich schitteren Garten-Selbstbedienungs-Beiz anlangten (insgesamt rund drei Stunden für Weg und Erkundung) …
… und ein weiteres – diesmal schweizerisch-kulturelles – Unikum feststellten: Ellikon besitzt keinen Anschluss ans öffentliche Verkehrsnetz! Wir hätten entweder wieder zurück nach Flaach wandern müssen (mmh!), nach Rheinau oder nach Marthalen. Doch nutzten wir unsere kommunikativen Fähigkeiten und die Freundlichkeit der Gastgeber, um einen Ritt per Auto nach Winterthur zu erhalten, der glücklicherweise eh bald fällig war.
So gelangten wir nach insgesamt rund sieben Stunden lohnender Wanderzeit glücklich, wohl genährt und müde wieder in Winterthur an, wo der Zug nach Hause auf uns wartete.