Mal was ganz anderes

von 2b am 9. Januar 2019

Und hier ein Brief an den Tagesanzeiger von gestern, in dem ich Bezug nehme auf einen kritischen Artikel vom 1.12.18 über einen ‚Weinlehrgang‘. Bisher unbeantwortet. Ich gehe nach wie vor davon aus, nachdem der ‚Tagi‘ früher schon dutzende Artikel von mir und über mich veröffentlicht hat, bin ich dort vor rund 10 Jahren, mit der Initiierung der NormalRevolution, auf einer schwarzen Liste gelandet. Wir werden sehen. Der folgende Artikel gibt darüber, so scheint mir doch, ziemlich zuverlässig aufschluss, nicht?

An die Redaktion: ‚Kein Leserbrief, da viel verspätet. also, was sonst?‘

Zur Besprechung des Weinlehrgangs ‚Merlot ist wie Coldplay’ von Justin Leone durch Daniel Böniger.

lieber daniel böniger
wie recht du hast! wenn ich etwas im kontext von wein hasse, dann sind es beim griff zur flasche die beschreibungen, was ich gefälligst zu empfinden habe beim kosten. währenddem zb in italien meist nicht einmal zu eruieren ist, wo der verdammte wein denn herkommt.
die mutigste aussage eines weinfachmanns, die ich je gehört habe, ist jene des besitzers von chateau petrus, bei der verkostung eines neuen jahrgangs vor versammelter internationaler weinprominenz: „Il me plait.“

wenn ich schon spielen möchte, dann, in der blinddegu zuhause, beim erkennen der traubensorten und der herkunft. also, bitte beides angeben! aber genau das verschweigen heute die meisten. nun gut, bei bordeaux wurde früher rein gar nichts angeschrieben, ausser das chateau und ev das niveau des cru; nicht einmal der alk-gehalt …
insofern ist die schräge aufmachung des buches, das du besprichst, rein gaga.

was also zählt beim wein?
eben, dass er schmeckt! da gibts, gerne zugegeben, ganz verschiedene niveaus der wahrnehmung. ist doch okay. 

so erzähle ich dir denn, was wir zuhause machen; und was von mir aus gerne schule machen darf. dies, nachdem ich bereits früher, zur nouvelle-cuisine-zeit, postulierte: bitte, wenn schon, dann auch zu jedem der 7 gänge einen eigenen wein, schluckweise! – was längst standard ist, leider, ohne, dass ich als vorläufer, pardon, -trinker davon finanziell profitiert hätte.
also, wir trinken zu jedem gang 2-3, manchmal gar mehr unterschiedliche weine. dazu probieren wir zusätzlich in der regel 2, 3 verschiedene gläser aus. du machst dir keine vorstellung, wie unterschiedlich derselbe wein in verschiedenen gläsern schmeckt. unglaublich! und keineswegs klassisch, sondern oft ganz paradox; etwa ein amarone in einem glas für säurereiche weissweine – spitze! a propos spitze: da haben die spitzenrestaurants noch einiges vor. dank einer grossen flasche argongas in der küche – ich kann mir kaum eine bessere investition in diesem bereich vorstellen – können wir uns dabei locker auf ein paar schlucke je wein beschränken. und, wir mischen öfter bewusst unterschiedliche ‚niveaus’ miteinander. – ich meine, das fördert die geschmackliche differenzierung und den genuss dieses wunderbaren substrates der kultivierten natur.

und was machen wir in guten restaurants – in andere gehen wir gar nicht mehr –, am liebsten sogar sehr guten? genau das gleiche. falls die auswahl an offenen weinen attraktiv ist, trinken wir zu zweit stets unterschiedliche weine, stellen die gläser in die mitte und kosten gemeinsam davon, je nach menü gibts dann drei, vier verschiedene weisse usw. bloss punkto gläser herrscht nach wie vor an den meisten orten armut pur, inkl. inkompetenz. wenn ich bedenke, dass wir früher für riedelgläser bei rosenthal um die 100.- bezahlt haben, während heute schon recht attraktive gläser für 15 – 20 franken zu haben sind … wie gesagt, da bleibt noch viiiel zu tun. – übrigens machen wir das beim essen genau gleich. wir bestellen stets unterschiedliche gänge (ausser bei fixen menüs natürlich) und tauschen dann. so wird aus einem dreigang menü ein günstiger 6-gänger. die portionen sind zwar kleiner; was uns jedoch gerade recht ist. in restaurants, wo sie uns kennen, kommt manchmal gar der kellner und tauscht, und wir kriegen stets reichlich besteck. und alle findens bisher toll!

die quintessenz: ein weinlehrgang sollte sich besser auf die animation zu differenziertem geniessen konzentrieren, mit beispielhaften anregungen (s.o.). was zählt, ist allein DER GENUSS. und der geht nun mal, pardon, nicht über den kopf, sondern über das empfinden. selbst wenn dabei mal sensorische eindrücke bezüglich säure, tannin, früchten oder was auch immer mitspielen. doch sind sie stets persönlich, individuell. darauf kommt es an. meines erachtens. – das allerbeste zeugnis für mich ist, wenn ich beim verkosten spontan die augen verdrehe, oder ebenso spontan ausrufe: „sagenhaft!“, wie neulich bei einem meiner letzten klassiker, einem 61er sigalas rabaud. ich bin gar mehrere male kurz weggetreten beim verkosten, sogar beim beschnuppern; zb bei einem yquem 67, oder bei einem montrachet 70 (obwohl nicht von romanée conti). was bitte, kann ein wein mehr bieten? kurz: ein rein sensorisches erlebnis, nicht zu toppen. schon gar nicht mit blossem wissen.

soll ich nun ein buch schreiben? nun ja, immerhin habe ich schon in einem buch darüber berichtet. allerdings in einem gaaanz anderen kontext (HOMO CAPUT).

herzlich
bernhard, 2b

Ein ganz gewöhnlicher Abend, Gang eins

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