Krise hin oder her

von 2b am 15. Juni 2010

Können Sie sich noch erinnern, an den Herbst 2008? Der Untergang von Lehman Brothers am 11. September 2008 – ein anderer «9-11»! –, der Beginn der Finanzkrise, die bald zur allgemeinen Wirtschaftskrise ausartete? Vorausgegangen war das Subprimedesaster in den USA, das Millionen Immobilienbesitzer in die Krise stürzte und in der Folge zahlreiche direkte und Abermillionen indirekte InvestorInnenen in jene mittlerweile berüchtigten Papiere.
Heute, wenn die unvermindert andauernde – ja, von immer neuen Skandalen und neuen Auswirkungen (Euro, Griechenland, …) genährte – Krise analysiert wird, scheint stets klar, dass sie in jenem Herbst bereits da war. Wenn wir jedoch zeitgenössische Artikel betrachten, erkennen wir, dass dem zumindest im Bewusstsein der Öffentlichkeit offenbar nicht so war. So spricht auch der folgende Beitrag, der am 14. Oktober 2008 veröffentlicht wurde, eindeutig „von einer Krise, die noch nicht ist.“
Seis drum, die Antwort, die er gibt, wird eigentlich erst richtig aktuell. Doch lesen Sie selbst:

 

Antwort auf die Krise, die noch nicht ist

Der Standort, von dem aus diese Analyse gemacht wird, mag als eine partielle Sichtweise des Problems erscheinen. Insbesondere mit Blick auf die komplexen Wirtschaftstheorien, um die sich die Experten angesichts der drohenden Krise lebhaft streiten. Doch dieser Standort soll hier einmal im Zentrum stehen. Nicht zuletzt, weil die meisten Wirtschaftstheorien angesichts ihrer Anwendung wieder einmal vor allem eines beweisen: dass sie offenbar wenig taugen.
Vor allem aber, weil dieser Standort zur Abwechslung ein Grundsätzlicher ist. Das klingt dann etwa so:

Es ist vollkommen egal, welche wirtschaftliche Stossrichtung wir wählen – die dümmste oder die klügste –, sie wird früher oder später scheitern. Das gilt solange, wie alle diese Stossrichtungen derselben falschen Maxime folgen.

Das gilt sogar für die ebenfalls einigermassen grundsätzliche Auseinandersetzung Kommunismus – Kapitalismus. Das ist zu erläutern.

Sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen – ob in Ost oder West – folgen seit eh und je der Maxime, durch mehr – und das heisst (nach einer Zwischenphase gegen Ende des letzten Jahrhunderts) nach wie vor längere – Leistung bessere Resultate zu erzielen. (Bessere Resultate, das sei hier angemerkt, sind aus gesamtgesellschaftlicher Sicht solche, die zum erfolgreichen Weiterleben einer ganzen Gesellschaft beitragen). Die früheren Kämpfe der Gewerkschaften um kürzere Arbeitszeiten gerieten im Endeffekt zu Scheingefechten. Längst sind die meisten Staaten, trotz weiterhin gewachsenem Reichtum de facto wieder zu langen Arbeitszeiten zurückgekehrt. Ein Slogan, wie „Vierzig Stunden sind genug“, mit dem wir einst in Zürich auf die Strassen gingen, ist längst obsolet geworden. Niemand getraut sich mehr, für eine Verkürzung der Arbeitszeit einzustehen. Niemand will mehr! In den Auseinandersetzungen zwischen „Kapital und Arbeit“ geht es heute fast nur noch um mehr und noch mehr Geld. Man scheint sich einig darüber zu sein, dafür ununterbrochen und im Dauerstress zu arbeiten. Die verlängerte abendliche Freizeit für noch mehr Action wird mit kürzeren und schliesslich gar keinen Ruhepausen tagsüber erkauft. Die Gewerkschaften haben den Zeitgeist begriffen. Geld für noch mehr Konsum ist Trumpf. Der Hunger ist unstillbar, weil er bloss zur Kompensation da ist; von Kompensation aber wird man niemals satt; fragen Sie dicke Menschen! – Pausenlos aktiv sein und sich mit allerlei Drogen über Wasser halten, verträgt sich denn auch schlecht mit einem Kampf um längere Ruhezeiten. «Wir möchten weniger arbeiten, um uns danach bei mehr Party vollends zu erschöpfen,» klingt nicht besonders überzeugend.

Der kurze Überblick zeigt also, dass die durch kürzere Arbeitszeit angestrebte längere Erholungszeit – ursprünglich noch im Bewusstsein eines vitalen Bedürfnisses postuliert – laufend aufgefressen wurde durch die Ausweitung der Aktivität in der Freizeit. – Wenn wir in der Geschichte zurückgehen oder auf andere Regionen dieser Welt schauen, dann können wir dem Antrieb zur Hoffnung: «Durch mehr Leistung zu mehr Wohlstand» durchaus Verständnis entgegenbringen: Hunger! Ein hungriges Wesen ist rastlos, bis es Nahrung findet. Sogar

die mittlerweile fatale Gleichsetzung von Wohlstand mit Wohlergehen

macht aus der Perspektive des akuten Mangels Sinn. Dass wir jedoch, mittlerweile auf riesigen Nahrungsbergen sitzend, ungebrochen derselben – angesichts der sattsam bekannten verheerenden Folgen geradezu kolossal dumm anmutenden – Maxime folgen, gehört meines Erachtens zu den weniger erhellenden Kapiteln der Menschheitsgeschichte.

Weshalb jedoch schreibe ich aber, dass sämtliche wirtschaftlichen und politischen Lösungen, die diese Maxime unbefragt übernehmen, zwingend scheitern?
Am Anfang steht ein biologisches Axiom: Verbrauchte Energie muss wieder ersetzt werden, soll der Organismus am Leben bleiben. Kurz: Was rausgeht muss wieder rein! Wieder rein und korrekt verteilt und eingebaut, während Verbrauchtes abtransportiert und entsorgt wird, damit es uns nicht belastet, oder gar vergiftet. Diesen Vorgang nennen wir Regeneration. Und diese Regeneration kann, genau wie der Service Ihres Wagens, nur optimal stattfinden, wenn Ihr Organismus ruht. DESHALB – NUR DESHALB HAT DAS LEBEN RUHEPHASEN! Diese Tatsache wissentlich zu verwässern, wie es heute noch von so genannten Fachleuten propagiert wird, zeugt von fundamentalem Unverständnis. Das können meines Erachtens nur Menschen tun, die sich selbst nicht spüren, die niemals ernsthaft daran dachten, ihrem Wissen persönlich Taten folgen zu lassen! Tatsächlich sind wir nämlich zeitlebens 24 Stunden pro Tag aktiv – etwa die Hälfte nach aussen und die andere Hälfte nach innen. Letzteres bedeutet Aktivität für die Regeneration der Kraft. So einfach ist das in Wahrheit.

Also bedeutet fantastisch, aber lebensintelligent aktiv sein: aktiv sein und ruhen, je zur Hälfte.

Also: RUHEN! PUNKT.

Damit sind wir schon mitten in den Konsequenzen, wenn das biologische Axiom des Energiegleichgewichts missachtet wird: Unser «Motor» stirbt langsam ab. Nun, wir sind etwas weiter entwickelt, als ein Industrieprodukt. Im Unterschied zu einer Maschine können lebendige Organismen um ihr Leben kämpfen (ich halte diese Eigenschaft gar für das wichtigste Kriterium zur Unterscheidung zwischen lebender und toter Materie!). In einem Organismus, der um sein Leben kämpft, sind Toleranzen eingebaut. Er kann seine Kräfte bündeln. Er kann von Bedürfnissen abstrahieren, um sich ganz auf den Kampf zu konzentrieren; er kann nicht Lebenswichtiges preisgeben, um möglichst lange möglichst viel Energie für den Kampf zur Verfügung zu haben. Lebensqualität spielt in dieser Situation keine Rolle. Und das ist exakt die Beschreibung der Verfassung des reichen Teils der Menschheit: lebenslanger, künstlich aufrecht erhaltener Überlebenskampf, unter Preisgabe der Lebensqualität.

Daher ist die oberste Maxime unserer Gesellschaft nur logisch: Möglichst lange durchhalten!
Ausgerechnet in diesem vitalen Kontext zählt praktisch nur Quantität.

Erkennen Sie sich?
Voilà , damit sind wir bei des Pudels Kern angelangt. Für uns moderne Menschen, bei denen der unmittelbare Überlebenskampf (glücklicherweise) längst aus dem Alltag verschwunden ist – schon bemerkt? –, äussert sich dieses Phänomen der schrittweisen Reduktion der Lebensfunktionen bis zum für das Überleben Allernötigsten in einem schleichenden Abbau der Lebensqualität.

Ja, ist das denn möglich? Ausgerechnet unser liebstes Kind, das wir so gern lobpreisen?
Solche Irrtümer können eben passieren, wenn man sich in manchem längst aufgegeben hat und gleichzeitig beharrlich Wohlstand mit Wohlergehen verwechselt, wie weiland, als es noch zum Jagen und Sammeln ging. Wir sind ein dermassen intelligentes Viech. Warum sind wir nicht gleichzeitig auch noch lebensintelligent?

Zurück zu unserem Liebkind.

Lebensqualität ist keine emotionale Grösse, im Stil von: «Das ist doch eine schöne Sache!»

Noch weniger ist sie reduziert auf eine materielle Funktion: «Genug Besitz ist der Beweis für hohe Lebensqualität.» Gerade reiche Menschen befinden sich punkto Lebensqualität öfter als uns allen lieb sein darf auf einer wahrlich bedauernswerten Stufe.

Lebensqualität bedeutet vielmehr:

  1. optimales Funktionieren möglichst aller Lebensfunktionen,
  2. optimales Handeln im Interesse eines rundum erfolgreichen Lebens,
  3. in stetem Kontakt zu den nötigen Parametern sein, um zuverlässig lebensintelligente Entscheidungen treffen zu können.

Um zu erkennen, dass unsere alltägliche Lebensqualität davon ziemlich weit entfernt ist, braucht man, selbst wenn man sich kaum noch spürt, kein Wissenschaftler zu sein.

Da wir uns noch immer standhaft weigern, unser grosses Glück zu fassen und endlich, dankbar für die Leistung unserer Vorfahren, zu akzeptieren, dass wir den Zwang zum täglichen Kampf längst überwunden haben (und viele weiterhin ab einem einzelnen Bären erschrecken, der unser Land betritt!), beisst sich die Katze andauernd in den Schwanz.

Wir schaffen durch unser permanentes Notfallregime laufend künstlich neue Notsituationen, die uns dann wiederum zu noch mehr Nachtdienst antreiben.

Ich gestehe, wenn ich mal im Feierabendverkehr auf einer Autobahn fahre, wird mir regelrecht unheimlich.

Ich habe von Lebensqualität gesprochen. Doch die Konsequenzen des Befolgens einer falschen Maxime gehen darüber hinaus. Wer chronisch im Energieungleichgewicht lebt – und das betrifft in etwa die geschätzte Zahl von hundert Prozent! – wird auf Dauer vor dem Anspruch kapitulieren, kluge, weitsichtige und einschneidende Entscheidungen für das Wohl der Wirtschaft und der Gesellschaft zu treffen und dann auch noch umzusetzen. Warum auch? Wofür? Für unser permanentes Notfallregime? Wer will das Gute dann nutzen und geniessen? Wir etwa? Das ist wieder schlichte Biologie: Das brauchts nicht im akuten Überlebenskampf. Besser, sich auf ein paar Alibiübungen beschränken, die das Gewissen des verpflichtenden Wohlstandes beruhigen und im übrigen regelmässig Krisen verschiedener Art produzieren, die uns stets an den Überlebenskampf gemahnen und unser unvernünftiges Treiben doch rechtfertigen. Und natürlich zum Schein die üblichen Verdächtigen verhaften … – Wenn der Überlebenskampf künstlich zum Dauerereignis hochstilisiert wird, verschwindet im Organismus die entsprechende Funktion auf Dauer ganz. Postulierte Ideale bleiben bloss noch geronnene Ideen, weil die Wahrnehmung der dafür nötigen Parameter unter dem Notfallregime ausgesetzt ist. Glauben Sie mir, die meisten Leute würden erschrecken, wenn sie realisierten, was ihre Ideale für Konsequenzen hätten! Ja, solange sie dafür kämpfen können, wie wenn es ums Überleben ginge (sic!) … doch wehe, sie kommen an die Macht, die Ideale setzen sich unvorhergesehen durch! (Mal wieder ins Geschichtsbuch schauen?).

Nun gehts aber einem unüblichen Verdächtigen an den Kragen:

Verantwortlich für diese einigermassen unerfreuliche Situation, die dazu neigt, in Krisenzeiten, wie den sich eben ankündigenden, sich gleichsam auszuziehen und sich unverschämt nackt zu präsentieren, ist ganz prominent eben unser haarsträubendes Management unserer eigenen Energie; diese Folge der alten Maxime, die dazu neigt, das Leben im Wesentlichen auf ein einzelnes Wort: DURCHHALTEN! zu reduzieren. Falls die Nachricht stimmt, dass zurzeit die Stressseminare und die Praxen der PsychologInnen von geplagten Managern überlaufen werden, die zur Abwechslung mal mit dem nackten, wirklichen Leben konfrontiert sind, ist das vielleicht ein bisschen verständlich. Aber nicht minder lächerlich. Wenn man partout keine Lösung will, sucht man bei jenen Labung, die ungewollt schon lange selber Teil der Krise sind. – Wie wärs also mit einer kurzen Besinnung: «WAS UM ALLES IN DER WELT HABE ICH DA GETAN?»

Echte Not schafft neue Möglichkeiten: Zeit für ein TIMEOUT!

Wer dazu noch in der Lage ist, kann die freche Behauptung, dass es uns an praktischer Weitsicht mangelt, leicht in einem Selbsttest überprüfen und mit Hilfe des eben erworbenen Wissens ab morgen die alte, obsolet gewordene Maxime der Selbstausbeutung aufgeben und an ihre Stelle eine dem Leben zuträgliche neue Maxime setzen: Jene des Lebens in der täglichen Energiebalance. So, wie es die Natur täglich fordert; die trotz aller behaupteten Göttlichkeit glaub ich auch unsere Natur ist.

Beweisen Sie sich, dass Sie die Ausnahme sind und in der Lage, die Weitsicht dieser Maxime

  1. zu erkennen
  2. sich sofort dafür zu entscheiden
  3. diese Entscheidung unverzüglich umzusetzen.

Nun, wie auch immer, auf jeden Fall haben es mir in den letzten 25 Jahren viele Menschen gedankt, dass ich ihnen das neue Regime des täglichen Energieausgleichs ungefragt verordnet habe und sie dadurch nicht allein sich selber ausgesetzt waren. Auch ich selber hätte mir oft gewünscht, da wäre ausser mir noch jemand, der die Macht besitzt, mir das Gute, Weitsichtige auf rigide Weise zu verordnen.

Natürlich weiss ich, dass es nicht bei der neuen Maxime bleiben wird. Nähern Sie sich erst wieder einem klugen persönlichen Energiemanagement an, werden Sie vermutlich von selbst darauf kommen, dass Sie da noch eine ganze Reihe weiterer Leichen in Ihrem Keller versteckt halten, die nun endlich begraben werden wollen. Das gibt dann Platz für weitere weitsichtige Entscheidungen. Und, falls die entsprechende biologische Funktion doch nicht mehr so recht in Gang kommen will, können Sie sich die nötigen Schritte immer noch verordnen und dann überwachen lassen.

Damit kommen wir, trotz heraufziehender Krise, doch noch zu einer absolut guten Nachricht:

Mit der neuen Maxime des Arbeitens in täglicher Energiebalance und ein paar daraus logisch folgenden Schritten wird es möglich, ja, selbstverständlich werden, eine der ältesten Geisseln der Gesellschaft endlich auszurotten und eine KRISENFESTE WIRTSCHAFT zu bauen.

Nachsatz Juni 2010:
Nun, für den zum Schluss versprühten Optimismus gibts, angesichts der bisherigen Bestrebungen zur Bewältigung der Krise, noch keine Argumente. Kein einziges! Selbstverständlich bleibt die hier vorgestellte Vision trotzdem richtig. Aber in Europa sind definitiv die Lebensverhinderer an der politischen Macht, jeden Monat noch einer mehr … Lesen Sie zu diesen Phänomenen zB den neuen Essay «Systeme schützen sich – um jeden Preis», ergänzt durch die Daten aus der Schrift «Das Virus UV21». Hervorragendes Beispiel dafür wie Politik funktioniert und was wir von ihr erwarten können, ist auch der Beschluss, des – ich glaub – deutschen Bundestages, «Work.Life-Balance» ins Programm aufzunehmen. Die haben damit so lange gewartet, bis sie ganz sicher waren, dass sich dahinter bloss eine leere Floskel verbirgt.
Nun, vielleicht machts ja die Wirtschaft besser. Dort ist, wenn schon, eher pragmatische Klugheit zu erwarten. Falls Sie also doch lieber der visionären Schiene folgen möchten, ermutigt Sie der hier kürzlich publizierte Artikel «Freie Aussicht von der Wirklichkeit in die Utopie» ganz bestimmt. Ausführlicher gibt der Essay «Die Vision 21» Aufschluss über eine anzustrebende – und theoretisch tatsächlich mögliche, da vollkommen kulturimmanente – Zukunft unseres Polit- und Wirtschaftssystems. (Alle Schriften erhältlich im be verlag).

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