Religion als Ausdruck menschlicher Entwicklung
Nach langer Zeit wieder einmal ein Wort zum Sonntag.
In einem sehr guten Buch hat ein bekannter Philosoph* die Entwicklung des Bewusstseins in der Menschheitsgeschichte beschrieben und daraus das zunehmende erwachsen Werden der Menschen abgeleitet.
(Es ist eines von einer ganzen Reihe von Büchern, die mir einst Bert Hellinger jeweils beim gemeinsamen Kaffee in den Arbeitspausen rübergeschoben hat und verdankenswerterweise zur Lektüre empfahl; darunter auch das erste Buch von Ron Smothermon, der schliesslich für mich zu einem der wichtigsten «Vordenker» wurde).
Ich meinerseits erlaube mir nun, eine andere Parallele zu ziehen. Nämlich die Religion als beachtliche und hartnäckig praktizierte menschliche Fantasieleistung in Beziehung zu setzen zum fortschreitenden kulturellen erwachsen Werden der menschlichen Gattung.
Da mir weder die umfassenden kulturhistorisch-ethnologischen Kenntnisse noch die Zeit zur Verfügung stehen, um, dem genannten Philosophen gleich, zu einer ausführlichen Abhandlung auszuholen (zumal die Arbeit ja bereits einmal geleistet wurde, eine Doppelführung also dem Tragen von Wasser in den guten, alten Rhein gleich käme), fasse ich die entscheidende Aussage kurz und bündig (und weil ich das ohnehin mag) in einen einzigen Satz:
Religion ist eine Kinderkrankheit des menschlichen Werdens
In jedem menschlichen Kopf (und wo auch immer), wo Religion noch eine Rolle spielt, finden wir unfehlbar das typische magische Bewusstsein des Kleinkindes. Da und dort allerdings gut getarnt! Die Vorstellung, man könnte mit Fantasien den Lauf der Dinge beeinflussen oder durch das Schaffen von Fantasiewelten neue, bessere oder noch bedrohlichere Realitäten schaffen, ist beim Kleinkind verständlicher Ausdruck der glücklicherweise vorübergehenden realen Ohnmacht. Bei körperlich Erwachsenen hingegen erweist sich dieses Gebaren als zurückgebliebenes Bewusstsein, mit den entsprechenden – zum Teil durchaus fatalen – Auswirkungen auf deren Handeln. Siehe die Weltgeschichte.
Dazu zählen, um dem Wunsch nach Vollständigkeit und Gerechtigkeit etwas besser gerecht zu werden, auch andere «fantastische» Versuche, die Wirklichkeit durch Magie zu manipulieren, wie positives Denken, allerlei Rituale und ähnliches, das mir als Zeuge stets einen Schauer der Konsternation über den Rücken jagt.
Wenn nun allerdings die massenhafte Befreiung von kindlicher Magie und der Eintritt in eine säkulare Welt direkt in pure Oberflächlichkeit und Wert(e)losigkeit mündet oder – beinahe noch ungemütlicher – in eine neue (esoterische) Fantasiewelt, so ist wohl in Bezug auf das Fortschreiten des erwachsen Werdens der menschlichen Gattung wieder einmal ausser Spesen wenig gewesen …
… welche Nicht-Entwicklung beim allgemeinen lebenslangen gefesselt Sein an frühkindliches Hoffen und Bangen und daraus abgeleitetem endlosen, da leider auch als Erwachsene ohnmächtigen – daher sich in der Not jeglicher, also auch magischer Mittel bedienenden – Mühen nicht weiter verwundert (siehe Handbuch für Primäres Lernen).
Bleibt zu wünschen, dass diese «neue Welle» – sowohl die hedonistische als auch die esomythische – dereinst im historischen Rückblick als vorübergehender und verständlicher Ausdruck der massenhaften Desillusionierung erscheint. Gleichsam als verschreckte Zuflucht, um dem plötzlichen, nackten Ausgeliefert Sein an die Wirklichkeit noch einmal zu entgehen. Als letztes Moratorium, bevor wir es als Gattung wagen, uns der Wirklichkeit endlich so wie sie ist zu stellen, so wie das gänzlich ausgewachsenen Lebewesen gut anstünde. Meines Erachtens ein durchaus verständliches Phänomen nach Jahrhunderten, ja Jahrtausenden der auch Sicherheit und wider alle Tatsachen Glück versprechenden Enge religiöser Fesseln und den daraus hervorgehenden untauglichen Manipulationsversuchen …
… dieses realen Lebens, das eben nur eines ist: jetzt und hier, ansonsten verloren für immer.
*Ich kann mich an seinen Namen nicht mehr erinnern. Doch versierten Rechercheuren wird es nicht schwer fallen, die Daten aus dem Internet zu beschaffen. Ich selber, als ungeübter Rechercheur, werde wohl Zeit meines Lebens besser plagieren als plagiieren.
Ha! Da kommt der Name: Neumann!?
[…] kleine Projektchen, wieder einmal eine Reihe von Zeitungen mit einem Artikel (Wort zum Sonntag) zu beliefern und zu schauen, was sie mit dem doch recht anspruchsvollen und auch ein bisschen […]
2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Ein bisschen Feuilleton für eine mutige(?) Zeitung – Aufdatierung am 10. Juni 2011 um 12:15 Uhr