In der Aktivität oder in der Ruhe? Wo ist das Zentrum des Lebens?

von 2b am 13. Juni 2007

Wo ist das Zentrum des Lebens?
Ist es die Aktivität oder ist es die Ruhe?
Sollen wir wir uns daran orientieren, dass wir möglichst oft aktiv sind?
Oder sollen wir bestrebt sein, möglichst oft zur Ruhe zu finden?

Sind wir bevorzugt in der Aktivität und erholen uns dann, wenn nötig, in der Ruhe?
Oder sind wir richtigerweise in der Ruhe und starten von da in die Aktivität?

Die heutige Wirklichkeit zeigt sich diesbezüglich vollkommen widersprüchlich.

Das Mindkonzept besagt: Wir arbeiten und sind aktiv, um möglichst viel Zeit für Musse zu haben.
Unser Handeln hingegen beweist: Wir opfern unsere ganze Musse, um möglichst stets aktiv zu sein.

Die Realität besagt klar: Musse ist für Schwächlinge – Aktivität bringt’s!

  • Wir orientieren uns also vollständig an der Aktivität. Wir versuchen zB mit allen Mitteln, die Nacht zum Tag – also zum Aktivraum – zu machen (Edison sei Dank!). Und wir packen selbst die Mussezeit mit Aktivitäten voll.
  • Positive Identifikationsfiguren sind ungebrochen jene, die bloss 4-5 Stunden schlafen (Beispiele: Der neue Präsident von Frankreich, Sarkozy, oder Wirtschaftsführer wie Accenture-Chef Thomas Meyer, deren Tagesablauf als Teil einer 80-Stunden Woche weiterhin gänzlich unkritisch, ja bewundernd beschrieben wird – und gleichzeitig mit ‚als das Übliche‘, als für tüchtige und erfolgreiche Leute scheinbar unausweichlich und richtig bewertet wird (TA von gestern, 11607, Wirtschaftsteil).

Unsere Handlungsorientierung heisst klar: 24 Stunden aktiv.

Und diese Handlungsorientierung wird mit allen Mitteln unterstützt.
Da unser Organismus absolut nicht dafür geschaffen ist, bloss Energie zu verbrauchen, muss dieses Verhalten mittel- und ohnehin langsfristig zwangsläufig verheerende Konsequenzen haben. Denn die Gleichung: ‚Die Summe der Energie bleibt sich gleich‘ (Entropiesatz) ist ein universelles Axiom. Sie gilt also auch für den Bereich Leben und erscheint in der hier passenden Formel geradezu als Binsenwahrheit: ‚Was raus geht, muss wieder rein‘.

24-Stunden pro Tag aktiv zu sein entspräche dem Perpetuum mobile. Und auch wenn der tägliche Energieverbrauch – beim Perpetuum mobile gleichsam die Reibung – in unserer hochtechnisierten Gesellschaft, mit einer Mehrheit an Arbeitsplätzen mit minimaler körperlicher Betätigung, laufend geringer wird: Das Perpetuum mobile bleibt eine (meiner Ansicht und Erfahrung gemäss zudem hässliche) Fiktion.

Die erste Konsequenz ist die, dass der Motor, der stets auf Hochtouren läuft – auch wenn es sich vor allem um Kopfarbeit mit geringem Energieverbrauch handelt – und der bereits mit diversen künstlichen Hilfsmitteln (vor allem mit diversen Drogen) am Laufen gehalten wird, gleichsam automatisiert ist. Unser ganzes individuelles sowie soziales System hat sich darauf eingestellt. Dieser Motor kann in unserer Freizeit nicht mehr ausgeschaltet werden, um sich zu erholen. Ergo läuft er auch in der Freizeit weiter. Diese wird folgerichtig mit weiteren, weitgehend nutzlosen, Aktivitäten angefüllt.
Das heisst: Unsere Erholung findet praktisch nur noch im Schlaf statt.
Der wird aber weiterhin in Richtung 24-Aktivität verkürzt.
Zudem wird der Schlaf mit Verarbeitungs- und Regenerationsprozessen belastet, die eigentlich untertags – während den biologisch geforderten Ruhepausen – ablaufen sollten. Entsprechend unruhig und oberflächlich ist heute der durchschnittliche Schlaf. Die Erholungsqualität wird dadurch weiter reduziert.

Schon ein ziemlicher Teufelskreis, dem wir uns da aussetzen.

Die weiteren Konsequenzen sind (Aufzählung unvollständig):

  • Fortlaufende Abnahme der individuellen Lebensqualität, bis zum blossen Vegetieren (als ‚blosses Funktionieren‘ zum breite Akzeptanz geniessenden Schlagwort geworden!).
  • Sukzessive Zunahme der Anfälligkeit für Krankheiten sowie im Verborgenen langfristig sich entwickelnde schwere Schädigungen (Kreislauf/innere und äussere Beweglichkeit, Optik, Krebs), die zum Zeitpunkt ihres Ausbruchs die Lebensqualität zusätzlich erheblich beeinträchtigen bzw zum vorzeitigen Tod führen (na ja!).
  • Fortlaufende Verminderung und schliesslich Verschwinden von (nicht durch Drogen künstlich hervorgerufener) Lebensfreude und sprühender Energie; latente und schliesslich offene chronische Depressivität.
  • Regelmässiger Gebrauch und schliesslich Abhängigkeit von Drogen – einerseits zum Überspielen der Erschöpfung, andererseits, um den Motor gewaltsam abzuschalten. Folglich Sucht als quasi selbstverständlicher Bestandteil praktisch jeden Lebens in unserer Gesellschaft.
  • Erschöpfung ist zum mit Abstand wichtigsten Faktor für chronischen Stress geworden. Sie führt zu stressbedingt zunehmender Konfliktneigung und Lösungsinkompetenz.
  • Fortlaufende Abnahme von Zuverlässigkeit, Kommunikationskompetenz, Beziehungsfähigkeit und Handlungsqualität (allgemeine Zunahme von Fehlleistungen!).

Im Kopf sagen wir uns noch immer:
„Wir tun das alles, um ein gutes Leben zu haben.“
Aber de facto ist das längst umgekehrt: Wir tun alles, um nur irgendwie aktiv zu sein.

WIR SIND LÄNGST AKTIVITÄTSSÜCHTIG!

Unsere Freizeit verbringen wir dann irgendwie – va um von unserer Müdigkeit abzulenken: Mit Alkohol, andern Drogen, TV, Musik – Konsum jeglicher Art! – sowie Aktivitäten à  discretion.

Die Arbeit ist also längst ins Zentrum unseres Lebens gerückt. Wir haben uns zu Sklaven gemacht, für die es kein wirkliches Leben ausserhalb der Arbeit gibt.
Nur sind unsere Schubladen, in die sich japanische Arbeiter nach der Arbeit selbst reinschieben, bzw die Matten, auf die sich brasilianische Arbeiter im Freien legen, zu schönen Wohnungen oder ansehnlichen Häusern geworden.

Aber:

DIE LÖSUNG IST MÖGLICH

Sie beginnt im Raum Arbeit.

  1. Wir unterbrechen den ungeheuren, nie ablassenden Strom der Arbeit mehrmals kurzzeitig.
    Das ist unsere Chance.
    Wir installieren in den Arbeitsräumen kleine Einheiten, in denen wir Erholung lernen – zwangsläufig, weil es dort nichts anderes als Erholung gibt.
    Letzteres ist der Schlüssel! Jede, auch noch so geringe Alternative, sprich: wieder Ablenkung (wie Musik oder Massage) verurteilt das Programm zum Scheitern.
  2. Wir lernen, die Balance zwischen Arbeit und Erholung zu finden und übertragen das auf den privaten Bereich. Wir lernen, nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb der Arbeit zu leben (statt uns bloss vom Stress abzulenken, indem wir weiteren Stress produzieren).
    So verschiebt sich allmählich der Schwerpunkt:
  3. Wir beginnen, wieder zu leben (statt bloss zu funktionieren (sprich vegetieren!)). Und wir tun, was nötig ist, damit dieses Leben gut, sicher und angenehm ist, bzw gesund, vital und lustvoll.

Denn:

Das Zentrum des Lebens ist Ruhe, ist Da-Sein.
Nur dort kann Glück und vollkommene Lebenstüchtigkeit bis ins hohe Alter gefunden werden!
Aus der Ruhe wird nach Bedarf in die Aktivität gestartet.
Punkt!

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