Reisebericht 4: Und wagen Sie es in Amerika ja nicht, selbständig zu denken!

von 2b am 21. Juni 2007

Wagen Sie es in Amerika ja nicht, selbständig zu denken!
Das vielleicht Beste, das wir in dieser Hinsicht in good new Amerika angetroffen haben, war die Anleitung zum Hände waschen.
Ja!

DIE ANLEITUNG ZUM HÄNDE WASCHEN

„Den Knopf am Hahn drehen. Die Hände unter das dann fliessende Wasser halten und benetzen. Auf den Knopf neben dem Becken drücken (zweifellos Haftungsausschluss, falls man den falschen Knopf drückt). Seife tritt aus. Die Hände darunter halten. Die Seife mit den Händen verreiben und unter dem fliessenden Wasser abspülen.“ (Dann geht’s zum Trocknen – natürlich mit Haftungsausschluss).

Ja, die Amerikaner haben’s drauf. Weshalb lernen wir so langsam von ihnen, dass es immer 5 – 10 Jahre dauert, bis ihre neusten Errungenschaften bei uns eintreffen? Und nochmals zehn Jahre, bis diese dann Standard werden? Soll das Fortschritt, ‚made in Europe‘ sein?

Welchen englischen Satz kennen Sie in der Nach-‚fuck you‘-Ära besser als den:

„Watch your step!“

Ich meine, auf jeder Treppe tritt er Ihnen vor jedem einzelnen Tritt 48 Punkte gross ins Gehirn: WATCH YOUR STEP! Wenn Sie den noch nicht verinnerlicht haben – und sei es nur aus Filmen! -, hilft Ihnen auch das stets besorgte Amerika nicht weiter (auf die Sicherheitskontrollen gehe ich später ein).

Also, wenn Sie die harte Seite der Amerikaner und fast noch mehr der Amerikanerinnen kennen lernen wollen, dann denken Sie selbständig. Denken Sie irgendetwas Selbständiges. Treffen Sie darauf – uhhh! – eine selbständige Entscheidung. Und Sie fahren gegen eine Wand!
In einem Land, das einfach alles reguliert, wo immer Menschen sich mehrfach aufhalten könnten, können Sie nicht so etwas Absurdes wie Flexibilität erwarten. Die Computer sind natürlich das perfekte Gerät, um das durchzuziehen. Was nicht dort drin steht, gibt es nicht. Sie können direkt vor einer Person stehen. Wenn diese im Computer das Aequivalent zu Ihnen nicht findet, schaut diese Sie völlig desorientiert an: Sie existieren nämlich gar nicht!
Wir durften dieses Phänomen mehrmals live erleben; es begann gleich beim Zoll am Flughafen. Unser Sohn Manuel existierte nicht und verursachte, da er, noch naiv-europäisch, darauf bestand, da zu sein, einen einstündigen Aufruhr unter den Zollbehörden. Und dass er mehrmals drücken musste, bis sein Fingerabdruck registriert wurde, machte das Chaos einfach perfekt.
Ihre Existenz im Computer zählt in den USA defintiv mehr als Ihre physische Gegenwart. Und die meisten AmerikaneInnen besitzen mittlerweile diese phänomenale Eigenschaft, Ihre physische Gegenwart schlicht und einfach auszublenden.

Denken und handeln Sie selbständig und sie lösen akkute Irritation aus. Darauf erfahren Sie die volle Härte, deren die Amerikaner fähig sind. Tun Sie das mal zum Spass. Aber tun Sie das nur in ganz, ganz harmlosen Dingen; wie zum einen Lift zu gehen, obwohl Ihnen der andere zugewiesen wurde, der nicht funktioniert. Oder – schon etwas heikler: Gehen Sie in einem Restaurant mit dem Glas in der Hand nach draussen. „Sir…!“ (ist verboten, auch wenn Sie gerade eine Fünfzig-Dollar Flasche Wein erstanden haben, die Sie partout nicht im billigsten Plastikbecher trinken möchten).
Also, bitte: Haben Sie Ihren Spass! Aber tun Sie das nur in wirklich harmlosen Fällen, sonst landen Sie schnurstracks im Gefängnis (wir verspürten diese Drohung mehrmals.

Doch es gibt, zwar keine Hoffnung, aber ein Gegenmittel.
Scheren Sie in bei uns in Europa ausserhalb der Schweiz ganz normaler Manier aus der Herde aus und wehren Sie sich! Begehren Sie scharf und mit zunehmender Ignoranz von der Gegenseite in grösserer Lautstärke auf, wenn etwas schief läuft; natürlich, weil einer der verdammten Computer etwas nicht gefressen hat, das Sie betrifft. Tun Sie das und Sie lösen nicht Irritation und Härte, sondern Panik und folgerichtig Hilflosigkeit aus. Denn wenn die Durschnittsamerikaner etwas nicht kennen, dann Schafe, die aus der Welt der unendlichen Regulationen ausbrechen, aus einer Welt, wo selbst gröbste und absurdeste Fehler mit einem ergebenen Achselzucken hingenommen werden. Achselzucken? Nein, das ist übertrieben: einfach still und fromm. (Glauben Sie also ja nicht den frechen Dialogen, wie sie in zahllosen Hollywoodfilmen als real existierend kolportiert werden!).
Übertreiben Sie es aber nicht und seien Sie darauf bedacht, rechtzeitig Ihre Stimme wieder zu besänftigen und dem Gegenüber demonstrative die Hand zu schütteln, wenn es signalisiert, dass Sie die Mauer durchbrochen und ein Lebenszeichen erobert haben, irgendeine Reaktion, die nicht im Handbuch vorgesehen war und die Ihrem Anliegen entgegenkommt.

Und schon ist die Welt wieder in Ordnung und Sie spielen glücklich wieder die freundliche Nummer ohne Seele, die von Computer zu Computer verschoben wird. Denn keiner konnte und wollte Ihnen dort bis jetzt verbieten, lebendig zu sein – solange das niemand merkt.

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